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Überman

Überman

Titel: Überman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tommy Jaud
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fallenden Börsenkurse bei n-tv. Wenn Börse zum größten Teil aus Psychologie besteht, wie man so oft hört, bleiben auch hier wenige Fragen. Eine halbe Stunde nur noch bis zum Ende meines Wachblocks und ich fühle mich überfordert. Wen nehme ich mit? Wen nicht? Wie genau sag ich es ihnen? Wie sage ich es Annabelle? Wie kriege ich den Keller in meine Gewalt? Wie komme ich an so viele Lebensmittel? Kommt der Selbstverteidigungsschirm rechtzeitig an, den ich mir wegen Parisis Überfall eben noch bestellt habe bei
krisenvorsorge.de
? (Ein unfassbar stabiler Schirm und gleichzeitig eine Waffe, im Werbevideo wurde sogar ein Kürbis zerschlagen damit).
    Als ich merke, dass mir fast der Kopf platzt, beginne ich eine Liste, die die Reihenfolge der Aufgaben und mögliche Lösungen beinhaltet, die ich in den kommenden Wachblöcken angehen will. Alles auf einmal machen kann schließlich kein Mensch und vermutlich nicht mal ein Übermensch.
    Auswahl der Freunde und Einladung
Einladung Annabelle
Dinge für den Weinkeller
Plan diesen einzunehmen (Krimis schauen? Seminar besuchen? Bundeswehr anrufen?)
Daten für die Vermessung der Angst einholen (laut Formel)
    Das mit der Liste war eine gute Idee, denn ich fühle mich sofort besser und weniger panisch. Ich beginne mit dem ersten Punkt, der Auswahl der Freunde. Wen nehme ich mit? Die Antwort ist eigentlich ganz einfach. Ich nehme die Menschen mit, für die ich das allergrößte Arschloch bin zurzeit, denn ihnen das Gegenteil zu beweisen ist ja schließlich der Sinn des kompletten Unterfangens. Wer also, frage ich mich, hält mich derzeit für das größte Arschloch? Na ja …
    Meine Freundin ist die Nummer eins auf meiner Liste. Nummer zwei und drei sind Manni und Lars, und Flik und Daniela werden mich auch hassen. Und der Wurm? Hat der schon was mitbekommen? Ab wann können Kinder hassen? Ich bin kurz verführt, die Frage zu googeln, wittere aber Zeitverschwendung und setze den Wurm einfach mit auf die Liste. Was soll er auch alleine machen in Holland, wenn beide Eltern im Krieg sind? Ich schaue ins Leere und höre Kanonendonner. Jetzt ist es passiert, ich hab den Überblick verloren. Wen hab ich denn schon im Bunker und wen nicht? Also …
    Annabelle
Manni
Ditters
Daniela
Flik und Wurm
    Paula! Ich hab Paula vergessen und ihren blöden Beagle und mich selbst natürlich!
    Paula und Evil
Überman
    Bleiben zwei Plätze. Was ist mit meinen Eltern? Die hassen mich zwar nicht, aber der Gedanke, dass ihr schönes kleines Häuschen vom hungrigen Mob gebrandschatzt wird, behagt mir auch nicht wirklich. Ich zünde mir also eine weitere Zigarette an und wähle ihre Nummer. Nach dem viermillionsten Klingeln geht meine Mutter ran. In den ersten fünf Minuten des Gesprächs geht es wie immer darum, dass der Papa das Telefon doch auch hätte hören können und jetzt einfach sie ran ist, obwohl sie gar nicht wusste, wo er es mal wieder hingelegt hat. Sobald ich eine viertel Millisekunde Pause zwischen zwei Sätzen geschickt nutzen kann, frage ich: »Wo seid ihr denn?«
    »Ach, Simon. Auf Fuerteventura, wie immer um diese Zeit, das müsstest du doch irgendwann mal wissen.«
    »Na ja … so lange fahrt ihr da ja auch noch nicht hin.«
    »Seit ’ 96 !«
    »Echt?«, staune ich und erfahre alles über das Nachspeisenbüfett im Club.
    »Nur noch Melone. Und weißt du warum? Weil’s billiger ist!«
    Leider hört sich meine Mutter trotz der suboptimalen Dessert-Situation nicht so an, als könnte ich sie und Papa dazu bringen, vor dem 21 .  12 . wieder ins kalte Deutschland zu reisen. Mein Blick fällt auf die Uhr: zwanzig Minuten bis zum Ende des Wachblocks. Beenden kann ich das Gespräch trotzdem nicht. Man muss nämlich wissen, dass meine Mutter stolze Besitzerin einer Info-Kanone ist, die bis zu zwanzig Belanglosigkeiten pro Minute verschießen kann: »… glaubst du gar nicht, wie gut die Wärme tut. Der Papa war heute schon um sieben Uhr früh am Strand mit seiner Qigong-Gruppe, gleich laufen wir nach Morro Jable zum Italiener, der macht ja ausgezeichnete Spaghetti …«
    Ich lege das Telefon zur Seite, mache mir einen Espresso und räume die Spülmaschine aus. Dann streiche ich meine Eltern von der Liste und greife wieder zum Handy.
    »… da kriegen wir auch immer einen Grappa aufs Haus, weißt du, die kennen uns schon, nur beim Papa muss ich aufpassen, dass der seine Mütze nicht wieder vergisst, weil der lässt ja alles liegen, weißt du, wie oft wir uns schon neue Zimmerkarten haben

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