Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
indes öffnete langsam, aber mit Erfolg die Schnürsenkel von Prof. von Rheins Schuh und steckte sie in den Mund. Yara hing irgendwann an Vanessa, betatschte sie überall. In diesem ganzen Tohuwabohu erzählte ich, dass ich nun eine Therapie beginnen würde. Prof. von Rhein fragte Vanessa, ob sie sich das auch vorstellen könne.
»Es geht mir gut. Vor drei Wochen hätte ich das schon eher gemacht. Aber jetzt brauche ich das nicht mehr«, antwortete sie gelassen.
Prof. von Rhein sprach seine Bewunderung für Vanessa aus, wie sie das so alles mache und dabei immer so ruhig bleibe. Schließlich ging er mit ihr für ein Gespräch unter zwei Augen in einen anderen Raum. Ich nutzte die Gelegenheit, um meine Leni zu umarmen und zu küssen. »Sie ist echt süß«, stellte Yara fest, »und gar nicht so schwer.«
Ralf holte die Kamera und knipste drauflos.
Als wir mit dem Einzelgespräch an der Reihe waren, erzählten wir Prof. von Rhein, dass im ganzen Alltagsgeschehen kaum mehr Zeit bliebe, sich zu treffen, und dass Vanessa auch eher schwer zu erreichen sei. »Wir haben nun beschlossen, weniger von unserer Seite aus zu machen. Jetzt muss mal etwas von ihr kommen.«
»Ich finde es gut, dass Sie Vanessa etwas Zeit lassen wollen, damit sie selbst mal aktiv wird.« Dann fragte er mich, ob ich mir Sorgen um Lilli machen oder mich nach ihr sehnen würde.
»Ich hätte gedacht, dass ich sie mehr vermissen würde, aber das ist gar nicht der Fall. Ich habe eher ein Problem damit, dass ich das halbe Jahr mit Lina verpasst habe.« Und schon kamen mir die Tränen.
Prof. von Rhein fragte Ralf, ob es ihm auch so ginge. »Weniger. Es ist nur etwas schwierig, sich von heute auf morgen umzugewöhnen. Die Unterschiede der Kinder sind wirklich groß.«
Prof. von Rhein versuchte mich zu trösten. »Es braucht eben alles seine Zeit.«
Doch meine Trauer um das verlorene halbe Jahr wurde immer größer. Ich fand es auch schlimm, dass es keine Fotos von Lina als Baby gab, bis auf die zwei, die Vanessa mir kopiert hatte. Es war wie eine Leerstelle, ein schwarzes Loch. Aus diesem Gefühl heraus entwickelte ich plötzlich den starken Wunsch, noch ein Kind zu bekommen. Ein Kind, mit dem ich von Anfang bis Ende komplett zusammen sein könnte. Ein Kind, das ich stillen und darüber die innige gemeinsame Nähe spüren und genießen konnte. Natürlich war mir klar, dass der jetzige Zeitpunkt für eine erneute Schwangerschaft völlig abwegig war, allein schon wegen meiner Kaiserschnittnarbe. Aber vor allem war es unvorstellbar in Bezug auf die nervliche Belastung. Ich hatte mich noch lange nicht erholt. Dennoch erzählte ich Ralf von meinem Wunsch.
»Jetzt geht es wirklich nicht. Aber vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt«, tröstete er mich.
Einem dritten Kind gegenüber war er noch nie abgeneigt gewesen, allein schon, weil er selbst mit zwei Geschwistern groß geworden war und das sehr genossen hatte. Mein Wunsch kam wieder und wieder hoch.
Letztendlich aber wichen meine Emotionalität und mein Wunsch dem schonungslosen Alltag. Lina fing bald an zu krabbeln. Sie ging ständig auf Entdeckungsreise. Man musste alles vor ihr in Sicherheit bringen und sie immer im Auge behalten. Yara fing mit ihren ersten Hobbys an und verabredete sich nachmittags mit ihren Freundinnen zum Spielen. Ich musste sie ständig durch die Gegend fahren und Termine einhalten. Ich war mit meinen beiden Kindern und mit dem ganzen Haushalt komplett ausgelastet, und das Thema »drittes Kind« erledigte sich daher von selbst.
KAPITEL 39
I rgendwann kam mir die Idee, dass doch Ann-Kathrin noch zusätzlich Linas Patentante werden könnte. Vielleicht würde ihr das Mut machen und sie hätte noch einen Grund mehr, um für ihr Leben zu kämpfen. Ich fragte meine Schwester, und auch sie hielt dies für eine gute Idee.
Es dauerte etwas, bis ich mir eingestand, dass ich den Kontakt zu Vanessa eigentlich gar nicht mehr wollte. Sie meldete sich nicht mehr, auch nicht auf die Nachrichten, die Ralf auf ihrer Mailbox hinterließ. Dass wir ständig die Initiative ergreifen sollten – dazu war ich einfach nicht mehr bereit. Und ein neues Gefühl, das sich ehrlich und richtig anfühlte, nahm immer mehr Raum ein: Ich wollte Vanessa nicht mehr als Patentante von Lina haben. Ich wollte keine Patin, die nur an Geburtstagen ihre Pflicht erfüllen würde. Lina sollte eine Patin haben, die sich wirklich engagierte. Eine, mit der wir am Wochenende gern Zeit verbringen würden und die mit der
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