Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
ganzen Familie verbunden wäre. Das Amt eines Paten war für mich gleichbedeutend mit Nähe. Aber Nähe empfand ich einfach nicht zu Vanessa – nicht, weil ich sie nicht mochte, sondern weil wir einfach nicht zusammenpassten. Und sie schien ja auch diese Nähe nicht zu suchen. So war ich mir auf einmal sicher, dass der Kontakt mit ihr zu nichts führen würde und bildete mir ein, dass eine »Kündigung« der Patenschaft in beiderseitigem Einverständnis sein würde. Ich überlegte, was ich machen sollte, und schrieb ihr schließlich einen Brief.
Saarwellingen, den 25. März 2008
Hallo Vanessa!
Obwohl Du nichts von Dir hören lässt, hoffe ich, dass es Euch allen trotzdem gut geht und dass Ihr gesund seid. Uns geht es gut, obwohl ich mir in der letzten Zeit über viele Dinge fast den Kopf zerbreche. Wie Du weißt, bin ich mittlerweile in psychologischer Behandlung, mit deren Hilfe ich es schaffen will, nach und nach Dinge, die mich belasten, zu verarbeiten. Deshalb wähle ich jetzt auch diesen Weg, mich Dir mitzuteilen, weil wir ansonsten niemals zum Reden kommen. Viele Dinge, die ich Dir sagen möchte, wirst Du vermutlich nicht verstehen, vielleicht eher in ein paar Jahren, vielleicht aber auch nie. Falls doch, umso besser.
Ich bin im Moment ein bisschen auf dem Ego-Trip, d. h. ich fange an, auch mal an mich zu denken. Ich habe mich in den letzten Wochen und Monaten sehr zurückgenommen, habe alle meine Wünsche und Bedürfnisse hinten angestellt. Ich habe nur an die Kinder, Ralf und an Dich und Deine Familie gedacht. Das war auch vollkommen okay so, denn wenn ich gemerkt habe, dass es Dir besser geht, ging es mir auch besser. Aber jetzt bin ich an einem Punkt angelangt, an dem ich nicht mehr die Initiative ergreifen möchte. Ich möchte mich auch einfach mal wieder gutfühlen. Erstaunlicherweise komme ich sehr gut damit klar, Lilli nicht mehr zu sehen. Ich bin von Natur aus ein sehr rational und realistisch denkender Mensch, obwohl ich in den letzten Monaten auch sehr emotional war. Aber so langsam kommt wieder das Rationale durch. Und sei mir jetzt bitte nicht böse, aber ich denke, wenn wir einfach nur realistisch sind, sollten wir uns eingestehen, dass es in Zukunft keine freundschaftliche Verbindung zwischen unseren Familien geben kann. Wenn man ehrlich ist, war es bis jetzt doch eher eine Verbindung aufgrund gemeinsamer Verzweiflung. Ich habe am Anfang auch gedacht, dass alles anders laufen würde, habe mir alles schön ausgemalt so mit Patchwork usw. Aber die letzten Wochen haben mir klargemacht, dass es nicht funktioniert. Wir sind einfach zu unterschiedlich. Allein der Altersunterschied stellt schon ein Riesenproblem dar. Ich hatte das Gefühl, Dich ständig bemuttern zu müssen, wollte Dir aber auch nicht auf den Schlips treten.
Es hört sich jetzt hart an, und wahrscheinlich denkst Du jetzt auch, wie blöd ich bin, aber ich bin kein bisschen traurig über die momentane Situation. Ich glaube vielmehr, dass es ein ganz normaler Verlauf ist, an dessen Ende die Zeit alle Wunden geheilt hat. Ich habe das Gefühl, dass jeder Kontakt zwischen uns erzwungen ist, und ich will einfach nichts mehr erzwingen. Ich denke, dass sich niemand von uns in der Gegenwart des anderen wirklich wohlfühlt. Meiner Meinung nach ist es besser, einfach alles laufen zu lassen. Aber wenn ich ehrlich bin, denke ich, dass es im Sande verlaufen wird. Wir haben es die ersten Wochen nach dem Tausch nicht geschafft, wie sollen wir es dann die nächsten Monate oder sogar darüber hinaus schaffen? Deshalb halte ich auch eine Patenschaft nicht mehr für sinnvoll. Da war ich anfangs in meiner Emotionalität vielleicht zu euphorisch. Das war wohl meine Schuld. Aber beim jetzigen Stand der Dinge kann ich mir eine Patenschaft nicht mehr vorstellen. Unsere Kinder sehen ihre Paten zwei bis drei Mal in der Woche, treffen sich auch mit ihnen in der Kirche. Darin liegt ja auch der eigentliche Sinn der Paten, die Kinder im christlichen Glauben mitzuerziehen. Wie soll das mit uns funktionieren? Ich habe auch meine Erfahrungen mit Paten gemacht. Sie existieren nur noch auf dem Papier, und ich möchte nicht, dass das bei meinen Kindern auch so ist, denn ich weiß noch ganz genau, wie schlimm das für mich war.
Wir haben uns entschlossen, meine kranke Nichte zwecks Patenschaft zu fragen. Es war mir eine Herzensangelegenheit, denn ich weiß, wie viel ihr das bedeutet. Sie steht mir sehr nahe, und ich wollte ihr damit zeigen, wie lieb ich sie hab und
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