Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
hätte das noch ewig so weitergehen können. Für Ralf jedoch wurde der Aufenthalt immer mehr zu einer Qual.
Am schlimmsten fand er die Therapiestunden. Die für uns zuständige Psychologin wäre auch für mich keine gewesen, bei der ich eine Langzeittherapie hätte machen wollen. Sie war das Gegenteil von meiner Frau Leifert – steif und konservativ, mit Mappe und Kostümchen. Trotzdem taten die Gespräche mit ihr gut, und ich musste auch bei ihr weinen.
Am Ende meiner ersten Sitzung hatte ich das Gefühl, sie auf ihren nächsten Klienten, nämlich auf meinen Mann, vorbereiten zu müssen. Sie tat mir richtig leid bei der Vorstellung, wie Ralf sie auflaufen lassen würde.
»Wenn jetzt mein Mann kommt, dann machen Sie sich auf etwas gefasst. Da sind Sie schnell durch«, warnte ich sie also vor.
»Ach, warten Sie mal ab. Meistens sind die Männer in der Kur ganz anders, als man glaubt«, erwiderte sie selbstsicher.
Als Ralf und ich uns dann die Klinke in die Hand gaben, sagte er, ich solle schon in einer halben Stunde wieder da sein, und nicht wie vorgesehen in einer Stunde. Ich lachte nur und ging auf dem Gelände spazieren. Keine zwanzig Minuten später hörte ich, wie jemand meinen Namen rief. Es war Ralf.
Mit einem verschmitzten Grinsen erzählte er mir, dass er ihr so richtig Paroli gegeben hätte. Er hätte ihr gleich gesagt, dass er kein Psychogespräch nötig hätte.
Ich konnte nur noch den Kopf schütteln.
Nach der dritten Sitzung teilte er ihr dann mit, dass er sich bei ihr unwohl fühle und nicht mehr kommen wolle.
»Also Ihr Mann – so etwas habe ich noch nicht erlebt! Sie hatten wirklich recht. Er ging ja auf gar nichts ein. Ich habe nichts aus ihm herausgekriegt. Komplett verschlossen. Aber trotzdem scheint es ihm gut dabei zu gehen«, erzählte mir die Psychologin.
»Tja, was soll ich sagen? So ist er eben«, antwortete ich schulterzuckend.
»Man kann ja niemanden zwingen«, schlussfolgerte sie und legte Ralf zu den Akten.
Als die Kur dem Ende zuging, fragte ich Ralf, ob wir nicht noch eine Woche verlängern sollten. Ich hatte immer noch keine Lust, wieder nach Hause zu fahren.
»Um Gottes willen! Ich fahre definitiv nach Hause!«, war seine Antwort – Verhandlungen ausgeschlossen.
Schon drei Tage vor unserer Abreise packte er unsere Koffer und überlegte sich, wo wir auf unserer Rückreise essen gehen könnten.
»Brauchst du das noch, oder kann ich das schon mal einpacken?«, fragte er mich andauernd und hielt mir irgendetwas vor die Nase, als ob dadurch die Zeit schneller vergehen würde. Am vorletzten Tag war alles gepackt.
Und da wurde Lina wieder einmal krank. Sie bekam hohes Fieber und heftigen Husten. Das war für Ralf, der mittlerweile schon die Minuten zählte, die Gelegenheit. »Weißt du was? Wir fahren einfach schon früher heim.«
»Das geht nicht so einfach«, entgegnete ich. »Du kannst nicht einfach so eine Kur abbrechen.«
Er bearbeitete mich so lange, bis ich schließlich doch den Arzt fragte, ob wir nicht etwas früher abreisen könnten. Ich erklärte ihm, dass es besser sei, mit der kranken Lina über Nacht zu fahren, damit sie schlafen könne. Der Arzt gab uns seinen Segen, und wir reisten ab.
Als wir dann mitten in der Nacht zu Hause ankamen, empfing uns ein Schild. »Herzlich willkommen! Wir sind froh, dass ihr wieder da seid.« Da konnte auch ich mich freuen, dass wir wieder daheim waren.
Lina wurde schnell wieder gesund, und ihre Ekzeme waren durch die Klimaveränderung komplett verschwunden. Damit war das Thema Krätze ein für alle Mal erledigt und raus aus meinem Kopf. Auch ich fühlte mich bestens erholt und ausgeruht.
Alles wäre gut gewesen, wäre da nicht die bleibende Sorge um Ann-Kathrin gewesen …
KAPITEL 41
D ie Kinderonkologen rieten dringend dazu, Ann-Kathrin einer Knochenmarktransplantation zu unterziehen. Bislang wollten Michaela und Martin erst gar nicht daran denken. Denn eine Transplantation bedeutete nicht nur eine große Tortur für Ann-Kathrin und die Auslöschung ihres eigenen Genmaterials sowie Unfruchtbarkeit als Folgeschaden und was sonst noch alles – eine Transplantation bedeutete auch, dass sie sie vielleicht nicht überleben würde. Jeder zehnte Patient stirbt nämlich daran. Doch eine Knochenmarktransplantation senkt die Rückfallquote von Leukämie deutlich. Und ein Rückfall ist das Schlimmste – es bedeutet den sicheren Tod. Sie hatten also nicht wirklich eine Wahl. Ann-Kathrin musste in das
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