Uebermorgen Sonnenschein - Als mein Baby vertauscht wurde
Stammzellentransplantationszentrum der Uniklinik Frankfurt, für mindestens zwei Monate.
Zuerst wurde ihr eigenes Knochenmark abgetötet, dann bekam sie die Spende. Wir alle zitterten mit ihr mit, wie ihr Körper das neue Knochenmark annehmen würde. Ich hätte so gern irgendwie geholfen, aber ich konnte ja nichts tun. Das Einzige, was mir einfiel, war eine Kerze anzuzünden. Ich erinnerte mich daran, dass meine Mutter das früher immer gemacht hatte, als eine Art christliches Ritual, wenn ich lange Strecken mit dem Auto gefahren war.
Doch wie es der Teufel so will, wurden Ann-Kathrins Leberwerte immer schlechter und schlechter, und sie bekam schließlich eine Blutvergiftung. Damit sie überleben würde, musste das richtige Medikament gefunden werden. Aber das war wohl nicht so einfach: Ein Mittel nach dem anderen wurde ausprobiert, aber nichts schlug an. Es war ein Wettlauf mit der Zeit.
Ich schwor mir, nie wieder eine Kerze in solchen Situationen anzuzünden, und die vermeintliche Beschützerkerze warf ich sofort weg. Mittlerweile hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass Ann-Kathrin es auf jeden Fall schaffen würde, ganz im Gegenteil. Mit großer Wucht brach die ganze Schwere ihres Zustandes, den ich so lange verdrängt hatte, über mich herein. Panik überfiel mich. Ich stellte mir vor, wie es sein würde, wenn Ann-Kathrin sterben würde. Ich versuchte, diese Gedanken zu unterdrücken, aber es gelang mir nicht. Nachts träumte ich sogar von ihrer Beerdigung und wachte weinend auf. Innerlich bereitete ich mich auf das Schlimmste vor. Schon, wenn ich nur auf dem Display die Nummer meiner Mutter sah, zuckte ich zusammen und mir wurde ganz schlecht. Am liebsten hätte ich einfach nicht abgehoben. Irgendwann drehten sich meine Gedanken nur noch um Ann-Kathrin. Auf andere Dinge konnte ich mich kaum noch konzentrieren. Dazu quälte mich mein ständig schlechtes Gewissen meiner Schwester gegenüber. Ich fühlte mich schlecht, weil ich zwei gesunde Kinder hatte. Michaela konnte für Ann-Kathrin nicht einmal kämpfen, sie konnte nur stark für sie sein. Ich hingegen hatte ganz viel Einfluss auf unser Schicksal gehabt und hatte viel tun können. Ich war so unendlich dankbar, dass uns das weniger schlimme Schicksal getroffen hatte, und gleichzeitig schämte ich mich so sehr für diese Gedanken. Von Michaela erfuhr ich, dass Ann-Kathrin, die nach außen immer so stark wirkte, die schlimmsten Todesängste hatte. Sie weinte nächtelang durch. Dann musste meine Schwester sich zu ihr ins Bett legen und sie beruhigen.
Schließlich hieß es, dass es nur noch ein Medikament gäbe, und wenn das nicht anschlagen würde, sähe es schlecht aus. Ann-Kathrins Leben hing also am seidenen Faden, und wir alle waren mit unseren Nerven am Ende.
Aber sie hatte Glück im Unglück: Das Medikament schlug an! Langsam stabilisierte sich ihr Gesamtzustand, und ihr neues Blut fing an zu arbeiten.
Ralf und ich beschlossen, Ann-Kathrin in Frankfurt zu besuchen. Ich bereitete mich innerlich darauf vor, dass sie sicherlich noch schlechter aussah als beim letzten Besuch kurz vor unserer Kur. Doch als ich dann in ihr Zimmer kam, erschrak ich trotzdem. Ihr Gesicht war aufgedunsen, ihr Kopf wirkte überdimensional groß auf ihrem ausgemergelten zarten Körper. Haare hatte sie mittlerweile gar keine mehr. Sie lag im Bett und wimmerte nur. »Ich will nicht! Ich will hier raus, Papa! Du musst mich hier rausholen!«
Es war so bedrückend, dass sich meine Kehle zuschnürte. Ich sagte leise »Hallo!« und blieb erst mal in der Nähe der Tür stehen. Ann-Kathrin nahm mich in ihrem Delirium überhaupt nicht wahr. Es war der blanke Horror. Ich merkte, wie mir die Tränen in die Augen schossen. Doch als ich meine Schwester anschaute, schüttelte sie nur den Kopf und signalisierte mir, dass ich auf keinen Fall losheulen durfte. Daraufhin ging ich raus und versuchte mich zu beruhigen.
Nach einiger Zeit war ich fähig, wieder hineinzugehen. Ann-Kathrin war immer noch zu sehr in ihrer eigenen Welt gefangen, um mich wahrzunehmen. Eine Schwester kam, um ihr Blut abzunehmen. Da begann sie plötzlich um sich zu schlagen und schrie: »Das ist ein Dreckloch hier! Die haben alle kein Gefühl! Wie die stechen! Die müssen doch wissen, dass das wehtut …!«
Michaela und Martin versuchten sie zu beruhigen. Doch meine Schwester gab schnell auf.
Martin wurde lauter.
»Wir lassen das Martin regeln«, sagte Michaela in mein Ohr. »Der ist für solche Momente zuständig. Ich
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