Überraschung kommt selten allein
nicht wollte, dass Tony dachte, sie vergleiche ihn permanent mit ihrem verstorbenen Mann. Sie hatte ihrerseits nie über Lydia gesprochen, weil sie nicht wollte, dass er sie für neugierig hielt. Der Unterschied war, dass Ed tot und Lydia sehr lebendig war und dass sie oft mit Alberta wegen der Wochenenden und Ferien für Dylan telefonierte. Tony hatte nie etwas gesagt, aber sie merkte, wie er es hasste, wenn sie sich darüber beschwerte, dass Lydia sorgfältig ausgeklügelte Pläne über den Haufen warf; sie hatte gelernt, jeden persönlichen Kommentar völlig zu unterlassen. Und nun heiratete Lydia nach so langer Zeit wieder, und Alberta wusste, dass Tony durcheinander war. Einerseits wollte sie ihm helfen und konnte es nicht. Andererseits war sie durcheinander, weil er durcheinander war. Seltsam, dass man so viele Jahre mit jemandem zusammenleben und doch nur so begrenzten Zugang zu seinen Gefühlen haben konnte. Sie wünschte, Tony würde mit ihr reden, statt so zu tun, als ginge es ihm gut, was offensichtlich nicht stimmte. Alberta hatte immer gemerkt, wenn ihre Tochter unglücklich war, und trotzdem vertraute Hannah sich ihr selten an. Hielt sie sie für dumm? Bei Jacob hatte Alberta nicht einmal den leisesten Schimmer, was in ihm vorging. Dann war da noch ihre Mutter. Doch über sie wollte Alberta nicht einmal nachdenken. In ihrem derzeitigen Gemütszustand war das keine gute Idee.
Sie wünschte, sie wäre nicht so gereizt. Sie wünschte, Tony hätte nicht diese dumme Bemerkung über Daniel gemacht. Sie war lächerlich, doch sie ging ihr nicht aus dem Kopf. Dabei war Daniel genau das selbstgefällige Alpha-Männchen, das sie verachtete. Sie hasste es, dass er offensichtlich dachte, sie stünde auf ihn. Und sie hasste es, dass sie tatsächlich auf ihn stand. Nicht dass es etwas änderte oder irgendetwas bedeutete. Aber es war ein wenig irritierend, dass ein Paar hübsche Schultern sie anmachten, selbst wenn sie zu einem so reizlosen Charakter gehörten. Noch irritierender war es, dass dieser reizlose Charakter sie gerade vom Schlafen abhielt.
Der Freitagabend begann nicht gut. Um sechs rief Tony an, um ihr mitzuteilen, dass er auf dem Weg zum Bahnhof Paddington sei und direkt zum Restaurant kommen würde. »Daniel hat für acht Uhr einen Tisch reserviert«, sagte er. »Versuch, pünktlich zu sein.« Er legte auf, ehe sie betonen konnte, dass er derjenige war, der Gefahr lief, zu spät zu kommen.
Sie ging nach oben, um zu duschen, und verwandte mehr Zeit als sonst darauf, sich die Haare zu föhnen. So fielen sie zur Abwechslung in hübschen Wellen über ihre Schultern. Sie warf sie zurück, um den Kajal aufzutragen. Anschließend nahm sie ihr grünes Kleid aus dem Schrank, doch es hatte einen winzigen Fleck, so dass sie beschloss, das Kleid anzuziehen, in dem Tony ihre Beine so sexy fand.
Sie sah gut darin aus. Es war kurz und einen Tick zu tief ausgeschnitten und schmeichelte ihrer Figur perfekt. Alberta betrachtete sich zufrieden im Spiegel. Die Tatsache, dass sie sich so viel Mühe mit ihrem Äußeren gab, hatte natürlich nichts damit zu tun, dass sie Daniel treffen würde. Sie musste sich einfach moralisch ein bisschen aufrichten. Einen Partner zu haben, der wegen der Hochzeit seiner Exfrau deprimiert war, schwächte definitiv das Selbstvertrauen.
Sie kam um Punkt acht im Restaurant an und konnte niemanden entdecken, der Daniel ähnelte. Ein charmanter junger Mann kam auf sie zu, und sie sagte: »Ich bin mit …« Sie konnte sich nicht erinnern, wie Daniel mit Nachnamen hieß. »Ich bin mit«, begann sie von Neuem, »Ich bin mit … einem Mann verabredet.« Er nickte ermutigend. »Es tut mir leid, und ich weiß, es klingt dumm, aber ich kann mich nicht an seinen Nachnamen erinnern. Er ist groß, hat volles Haar, ungefähr mein Alter und sieht ziemlich gut aus …«
»Mr. Driver ist oben«, sagte der junge Mann. »Bitte folgen Sie mir.«
Alberta tat, wie ihr geheißen, und versuchte, nicht darüber nachzudenken, was der nette junge Mann von ihr wohl halten mochte. Wahrscheinlich glaubte er, es sei ein Blind Date. Oh Gott, natürlich dachte er, es sei ein Blind Date. Daniel saß an einem Tisch und las die Speisekarte. Er trug ein weißes Hemd und hatte die Ärmel hochgekrempelt. An seinem rechten Handgelenk blitzte ein silbernes Armband. Er sieht aus, dachte Alberta bissig, wie ein Musikproduzent, der eine Platte für eine Band mit einem albernen Namen produziert.
Der nette junge Mann führte Alberta
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