Überraschung kommt selten allein
blitzten, doch er antwortete mit der gleichen Ernsthaftigkeit: »Sehr gut. Ich würde mir weniger Hügel wünschen. Egal, wo ich hingehe, es geht immer bergauf. Ich könnte in Bath niemals alt werden.«
»Dabei«, sagte Alberta, »gibt es jede Menge gesunde ältere Leute hier. Meine Tochter behauptet, ein zwanzigminütiger Spaziergang, ganz gleich wohin, ist besser als jedes Fitnesstraining.«
»Ich wusste gar nicht, dass Sie eine Tochter haben. Ich dachte, Tony hat nur ein Kind.«
»Das ist wohl ein bisschen verwirrend. Tony und ich haben einen Sohn, und Tony hat einen Sohn mit seiner Exfrau. Hannah ist nicht Tonys Tochter. Ich war schon mal verheiratet, ehe ich Tony kennenlernte.«
»Wie interessant, dass es in Ihrem Leben auch einen Ex gibt.«
»Hannahs Vater ist kein Ex«, sagte Alberta. »Er ist tot.«
»Woran ist er gestorben?«
Alberta trank einen Schluck Wein. »Er hatte einen Autounfall.«
»Das muss hart gewesen sein.«
»Ja.« Alberta trank noch einen Schluck. »Haben Sie Kinder?«
»Ja, einen Sohn«, antwortete Daniel. »Er ist ein netter Kerl.«
»Wie alt ist er?«
»Ich weiß nicht genau. Ich glaube, er muss jetzt achtzehn oder neunzehn sein. Im Augenblick macht er eine Reise. Er ist entweder gerade in Nordamerika oder in Südamerika.«
»Das ist ein großer Unterschied«, sagte Alberta ernsthaft. »Sie sehen das alles ziemlich lässig, wenn ich das so sagen darf. Sie wissen nicht, auf welchem Kontinent Ihr Sohn gerade ist. Ihre armen Eltern würden wahrscheinlich sehnlichst gern etwas von Ihnen hören …«
»Ich versichere Ihnen, dass das nicht so ist. Ich kann mich tatsächlich nicht erinnern, wann meine Mutter sich wirklich gefreut hat, mich zu sehen. Ich konnte es nicht erwarten wegzukommen. Meine Mutter hat die außergewöhnliche Gabe, jedes Haus, in dem wir gewohnt haben, in ein Mausoleum von spektakulärer Düsternis zu verwandeln.«
»Sind Sie als Kind oft umgezogen?«
»Alle paar Jahre. Mein Vater hat für die Barclay Bank gearbeitet und wurde regelmäßig versetzt. Als ich ganz klein war, haben wir in Surrey gelebt, dann …«
»Ich habe auch in Surrey gelebt!«, unterbrach Alberta. »Wo haben Sie da gewohnt?«
»In einem Dorf namens Redhill. Ich erinnere mich gar nicht genau an die Zeit. Ich war in einem komischen, kleinen Kindergarten, der von einer großen Frau mit knallrotem Lippenstift geleitet wurde. Sie trug meistens Röcke, die Flecken hatten.«
»Mrs. Grander!«, rief Alberta aufgeregt. »Sie müssen bei Mrs. Grander gewesen sein!«
»Meinen Sie?«, fragte Daniel. »Ich weiß ihren Namen nicht mehr. Der Kindergarten war in ihrem Haus, und ihre Pudel kamen immer in unser Spielzimmer.«
»Ein grauer und ein schwarzer! Sie waren bei Mrs. Grander!«, sagte Alberta. Sie umklammerte seinen Arm, als ihr die volle Bedeutung klar wurde. »Verstehen Sie? Ich hatte recht! Ich kannte Sie wirklich! Jetzt weiß ich es: Sie – du bist Daniel das Ekel!«
»Bin ich?«, fragte Daniel. »War ich?«
»Du musst es sein. Wie alt bist du?«
»Fünfundvierzig.«
»Ich auch!«
»Ach ja?« Daniel schien überrascht. »Das sieht man dir nicht an.«
»Vielen Dank. Das ist erstaunlich. Du musst es sein! Es gab damals keinen anderen Daniel dort. Daniel das Ekel hatte diese komische, blaue Mütze, und er weigerte sich, sie abzusetzen.«
»Das war ich«, nickte Daniel. »Warum war ich ein Ekel?«
»Als du das erste Mal in den Kindergarten kamst, hast du mir die Zunge rausgestreckt. Du hast mir immer die Zunge rausgestreckt.«
»Das tut mir unendlich leid.«
»Du warst ein grässlicher kleiner Junge«, sagte Alberta fröhlich. »Einmal hast du mit Absicht Wasser über mein Bild von einem Krokodil geschüttet, und danach habe ich dich Daniel das Ekel getauft.«
»Das sieht mir gar nicht ähnlich. Da muss ich einen schlechten Tag gehabt haben.«
»Du hattest immer einen schlechten Tag. Ich erinnere mich an alles Mögliche.« Jetzt genoss Alberta den Abend. Schadenfroh setzte sie an, um all die Schandtaten des kleinen Daniel aufzuzählen, und nur die Ankunft ihres Essens hinderte sie daran.
Daniel fiel über seinen Teller her, als hätte er eine Woche lang nichts gegessen. Nach ein paar Bissen schaute er Alberta fragend an. »Wie sind deine Linguine?«
»Hervorragend. Es ist so eine Wohltat, etwas zu essen, das jemand anders gekocht hat und …« Sie hielt abrupt inne. »Jetzt fällt mir noch etwas ein!«
»Oje«, sagte Daniel. »Das habe ich mir schon gedacht. Wieso hast du so ein
Weitere Kostenlose Bücher