Übersinnlich (5 Romane mit Patricia Vanhelsing) (German Edition)
ziemlich eingeengten Platz hatte.
Von dieser Nacht war ohnehin nicht mehr viel übrig...
*
"Hey, aufwachen, Lady!"
Ich schreckte hoch.
Vor mir flimmerte der Computerbildschirm, dessen Anblick einen eigenartigen Kontrast zu dem darstellte, was ich gerade noch vor meinem inneren Auge gesehen hatte. Dschungel. Ein wucherndes Pflanzenmeer, voll wimmelnden Lebens... Feuchtheiße, schwere Luft. Ein fahler Vollmond am Himmel.
Ich blickte auf.
Mein Kollege Jim Field lehnte sich mit der Hüfte gegen meinen Schreibtisch im Großraumbüro der NEWS-Redaktion. Jim strich mit einer fahrigen Geste das ungebändigte blonde Haar zurück. Die Kamera, die ihm um den Hals hing, zerknautschte das Revers seines schon ziemlich abgetragenen Jacketts. Die verwaschene und liebevoll geflickte Jeans schien noch älter zu sein.
"Gib's zu, du bist entweder gerade eingeschlafen oder standst dicht davor!", meinte er lachend.
"Ich habe nur einen Moment nachgedacht..."
"Geträumt, Patti!"
"Wie auch immer!"
"Versuch's mal mit Kaffee!"
"Sehr witzig, Jim! Von der dünnen Brühe, die es hier gibt habe ich schon so viel getrunken, dass ich dauernd auf die Toilette muss. Und wacher wird man davon auch nicht."
"Der Geiz unseres Verlages geht eben bis in die Kleinigkeiten..."
Die dauernde Flachserei war typisch für Jim. In letzter Zeit hatte er sich ziemlich oft mit unserem Chefredakteur Michael T. Swann gestritten. Swann war zwar ein Mann, der Leistung stets anerkannte - und Jim Field war unbestritten der Starfotograf der LONDON EXPRESS NEWS. Aber Swann konnte Unpünktlichkeit und Disziplinlosigkeit nicht leiden. Wenn Jim es mit den Terminen nicht so genau nahm, konnte ihn das zur Weißglut bringen.
Umgekehrt träumte Jim von einer Karriere bei den Hochglanzmagazinen. Bilder für eine Boulevardzeitung auf schlechtem Papier und mit grobkörnigem Druck zu machen, empfand er im Grunde inzwischen als unter seiner Würde. Swann duldete es stillschweigend, dass Jim neben seiner Tätigkeit für die NEWS noch freie Aufträge annahm. Er hatte schon für Kalender und Modekataloge gearbeitet. Und seit einiger Zeit auch für die VOGUE.
Er träumte ganz sicher davon, dort vielleicht eine Festanstellung zu bekommen.
Und da die Qualität von Jims Arbeit außer Frage stand, war dieser Wechsel eigentlich nur eine Frage der Zeit. Jim blickte auf die Uhr.
"Eigentlich müsste ich längst beim Chef sein. Aber irgendwie habe ich nicht die geringste Lust, mir wieder eine seiner bekannten Standpauken anzuhören! Das habe ich einfach nicht nötig."
"Jim, er meint es nicht so."
"Du hast gut reden!"
"Ich habe auch einiges von ihm einstecken müssen. Aber im Grunde ist er ein netter Kerl. Auch wenn er es manchmal wirkungsvoll zu verbergen weiß!"
Jim machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Bei dir ist das anders, Patti. Bei dir gibt es eine Grenze, die er nicht zu überschreiten wagt. Schließlich ist unser allgewaltiger Verleger Arnold Reed ein Bekannter deiner Tante Lizzy. Und das ist ein Argument, das sogar einen Michael T. Swann beeindruckt!"
"In dem Punkt unterschätzt du ihn", erwiderte ich. Jim hob die Augenbrauen.
Der Humor war jetzt aus seinem Tonfall verschwunden. Für mich war das nur eines von mehreren Anzeichen dafür, wie ernst die Spannungen zwischen Swann und Jim inzwischen geworden waren. In letzter Zeit hatte sich da ein gewaltiges Gebirge düsterster Gewitterwolken
aufeinandergetürmt und man brauchte nun wirklich nicht übersinnlich begabt zu sein, um vorhersagen zu können, dass es bald zum endgültigen Knall kommen würde.
"Swann ist vielleicht manchmal unausstehlich", gab ich zu,
"Aber er ist auch jemand, der es hasst, irgendwelchem Druck nachzugeben. Ein Reporter der alten Schule eben. Sieh dir nur an, wie er sich in der Sache mit den ORDEN DER MASKE
verhalten hat. Diese Sekte hat über Mittelsmänner und Tarnorganisationen erheblichen Druck auf die NEWS auszuüben versucht. Schließlich war die NEWS das erste Blatt, das ausführlich die Machenschaften dieser Vereinigung aufdeckte... Und Swann hat die Hand über uns gehalten."
Jim zuckte die Achseln.
"Aber er muss doch nicht ausgerechnet an mir beweisen, dass er Charakter hat, oder?"
Er bewegte sich ein paar Schritte in Richtung von Mr. Swanns Bürotür und meinte noch: "Schlaf nicht wieder ein, Patti!"
Ich lächelte.
"Man tut, was man kann, Jim!"
"Manchmal ist das nicht genug!"
Es dauerte kaum fünf Minuten, da sah ich Jim bereits wieder. Er kam mit einem Gesicht
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