Ufer des Verlangens (German Edition)
Frankreich in See stechen wollte, brannten ein paar Fackeln. Zwei Matrosen standen an der Reling und beobachteten aufmerksam den Hafen.
Zelda hatte sich so gesetzt, dass sie von ihnen nicht bemerkt werden konnte.
Als der Morgen sich als schmales graues Band am Horizont ankündigte, sah Zelda zwei Bedienstete des Coroners, an ihren Uniformen zu erkennen, den schmalen Steg hinauf aufs Schiff gehen.
Sie reichten den Männern an Deck die Hand, dann stellten sie sich ebenfalls an die Reling und schauten auf das Hafengelände, als erwarteten sie etwas Besonderes.
Nach einer Weile hörte Zelda einen Karren über das Pflaster rollen. Es war ein einfacher Planwagen, der von zwei Pferden gezogen wurde.
Die Bediensteten verließen das Deck und stellten sich rechts und links neben den Planwagen. Der Kutscher stieg ab, löste die Verschnürungen an der Plane, und Zelda sah mehrere Frauen, die auf der Fläche saßen und sich gegenseitig umschlungen hielten. Einige weinten, andere wirkten versteinert, wieder andere trotzig.
Die Garde des Coroners trieb sie mit lauten Rufen vom Wagen und hinauf an Bord der Karavelle.
Eins, zwei, drei, vier, fünf Frauen zählte Zelda. Fünf Frauen, die den gelben Schleier, das Kennzeichen der Huren, an ihren Hüten trugen, dazu einen Mann. Es waren dieselben Leute, die sie gestern Abend im Blauen Anker gesehen hatte.
Zelda beugte sich weit nach vorn und versuchte, die einzelnen Frauen zu erkennen. Ihr Herz klopfte zum Zerspringen.
Obwohl in Lizzys Erzählungen nur wenig daraufhindeutete, dass Joan unter den Huren sein könnte, wollte Zelda doch keine Möglichkeit außen vor lassen.
Lizzy hatte mit dem, was sie nur angedeutet hatte, mehr verraten, als ihr wohl selbst bewusst gewesen war. Zelda war sich sicher, dass der Blaue Anker ein Umschlagplatz für Mädchenhändler war.
Wieder zog sich Zeldas Herz schmerzhaft zusammen, als sie eine Frau sah, die Joan ähnelte. Das gleiche blonde Haar, die gleiche aufrechte Haltung. Doch die Frau war fülliger als Zeldas kleine Schwester, der Mund breiter, die Brüste voller.
Sie atmete auf, als die letzte der Frauen an Bord der Karavelle gegangen und Joan nicht dabei gewesen war.
Die Angst um die Schwester war ihr so in die Glieder gefahren, dass Zelda sich noch einen Moment auf der Hafenmauer ausruhen musste und dem Schiff beim Auslaufen zusah.
Sie dachte an das Schicksal derer, die sich nicht freiwillig auf den Weg nach Frankreich begeben hatten. Vielleicht war auch unter ihnen eine junge Lady, eine Frau, für die die Eltern wohl ein anderes Leben geplant hatten.
So wie ihr Vater für Joan!
Nicht auszudenken, wenn auf ihre Schwester ein ähnliches Schicksal warten sollte! Zelda sah Joan, die in einem französischen Gasthaus schwere Krüge mit Rotwein an Tische schleppte, das Mieder zur Hälfte offen, die Lippen mit einer roten Paste beschmiert. Sie sah die freudlosen Augen vor sich, das müde Gesicht, sah sie zusammenzucken, wenn einer der Gäste seine Pranke auf ihrem Po niedersausen ließ oder gar mit gichtigen Fingern ihre zarten Brüste begrapschte.
Zelda schüttelte es bei diesem Gedanken. Sie wusste, Joan würde solch ein Leben nicht lange aushalten. Auch sie würde wohl eher den Tod wählen, als Tag für Tag Schmach, Elend, Erniedrigung und Schande hinzunehmen.
Sie schüttelte sich, schüttelte die dunklen Gedanken weg und stand auf. Nein, Joan würde keinesfalls alsHure nach Frankreich verkauft werden, ganz gewiss nicht. Wäre es so, so wären sie nicht nach Edinburgh weitergereist.
Zelda hatte schon zu viele Stunden in Dundee vergeudet. Es wurde Zeit, allerhöchste Zeit, dass sie sich auf den Weg nach Edinburgh machte.
Wieder ritt sie weiter, ohne sich lange Pausen zu gönnen. Ihr Rücken schmerzte, wenn sie am Abend müde vom Pferd stieg und sich in einer Herberge am Wegesrand ein Nachtlager suchte. Ihre Schenkel waren auf den Innenseiten gerötet und brannten wie Feuer, auch das Sitzen im Sattel fiel Zelda schwer.
Dazu diese Hitze. Es war wirklich ein ungewöhnlich warmer Mai in diesem Jahr. Zelda konnte sich nicht erinnern, schon einmal einen so heißen Frühling erlebt zu haben.
Ihr Haar, das noch immer unter dem Verband dicht am Kopf klebte, begann zu jucken, weil sie schwitzte. Und Zelda wünschte sich nichts sehnlicher als ein Bad.
Als hätte eine überirdische Macht ihr dringendes Bedürfnis gespürt, schlängelte sich unversehens ein heller, sprudelnder Bach neben dem Weg entlang. Zelda atmete auf. Sie ritt noch ein
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