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Ufer des Verlangens (German Edition)

Ufer des Verlangens (German Edition)

Titel: Ufer des Verlangens (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Hamilton
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werden in solchen Fällen sogar manchmal des Bundes mit dem Teufel beschuldigt. Die Kinder seien verhext worden, heißt es dann. Viele Wehmütter, die ich kenne, sind schon aus diesem Grund auf dem Scheiterhaufen gelandet.
    Andere Säuglinge erhängen sich während der Geburt an der Nabelschnur oder sind einfach zu schwach zum Leben. Auch daran gibt man uns meist die Schuld, denn wer gibt schon gerne zu, schlechte Erbanlagen zu haben?«
    Zelda nickte, obwohl sie wusste, dass die alte Frau dieses Nicken nicht sehen konnte.
    »Warum übt Ihr dann diese Tätigkeit aus, wenn sie Euch so viel Verdruss bereitet?«, fragte sie mit Verwunderung.
    »Gott hat mir diese Aufgabe übertragen. Wer bin ich schwache Frau, dass ich mich dem Willen Gottes entziehe?«, fragte sie. »Die Wege unseres Herrn sind uner-forschlich, und nur der Demütige und Dienende verdient sich zu Lebzeiten einen Platz im Himmel. Und ist es nicht auch ein schöner Lohn, einem gesunden, kräftigen Kind auf die Welt zu helfen?«
    »Da mögt Ihr wohl Recht haben«, erwiderte Zelda und wurde urplötzlich so traurig, dass sie laut aufseufzte.
    Sie dachte an ein Kind, ein kleines Kind, das warm und weich in ihrem Arm lag. Ein Kind der Liebe, das die besten Eigenschaften des Vaters und der Mutter in sich trug. So etwas hatte sie sich immer gewünscht, davon hatte sie geträumt.
    Doch jetzt wusste sie, dass sie wohl nie ein Kind der Liebe zur Welt bringen würde. Der Mann, von dem sie geglaubt hatte, ihn zu lieben, hatte sie verraten, betrogen und belogen. Und den Mann, den sie wohl oder übel bald heiraten sollte, liebte sie nicht.
    Die Traurigkeit übermannte Zelda schier, sodass sie die Arme um den Körper schlug und sich leise hin und her wiegte.
    Verzweiflung stieg in ihr auf, eine schwere, schwarze Verzweiflung, die sich wie ein Scharten auf ihre Seele legte.
    Wofür lebe ich?, dachte sie, und ihr fiel keine Antwort ein. Am liebsten wäre sie eingetaucht in die Schwärze ringsum, wäre gern darin versunken wie in einem langen, tiefen Schlaf, aus dem es kein Erwachen gab.
    »He, Sir, seid Ihr noch da?«
    Die Stimme der Wehfrau riss sie aus ihren Gedanken.
    »Ja.«
    »Hört Ihr, die Wachleute streiten jetzt. Das heißt, dass wir bald etwas zu essen bekommen.«
    Der Lärm war tatsächlich angeschwollen. Die Wachleute brüllten inzwischen so laut, dass Zelda einzelne Worte verstehen konnte.
    »He, Harry, du Lump! Du hast mich betrogen! Ich habe genau gesehen, dass du nur vier Augen gewürfelt hast, doch jetzt liegen sechs auf dem Tisch. Ein elender Falschspieler bist du, ein Betrüger!«
    »Was??!! Du wagst es, mich einen Betrüger zu nennen? Mit der Faust werde ich dir zeigen, wer hier ein Betrüger ist … «
    »Langsam, langsam, Männer«, durchbrach eine ruhige Stimme das Geschrei. »Lasst uns jetzt das Essen austeilen. Dabei wird eure Wut verrauchen. Anschließend schlafen wir noch ein paar Stündchen. Es lohnt nicht, sich wegen eines Würfels die Zähne einzuschlagen.«
    Die beiden anderen brummten, und kurz darauf hörte man das Geklapper von Kesseln.
    »Ich werde den Gang links von dir nehmen, du bringst das Essen hinüber in den Schuldturm, und du, Harry, bringst dem alten Weib und dem jungen Dieb ihren Fraß.«
    »Warum Harry? Warum nicht ich? Immer muss ich zum Schuldturm!«, beschwerte sich der andere.
    »Reg dich nicht auf, Leland. Harry ist schon alt und hat Schmerzen in der Hüfte. Gönne ihm ein wenig Erholung.«
    Wieder maulte einer der Wächter, doch die ruhigeStimme des Mannes, der wohl das Kommando über die Wachen hatte, sorgte dafür, dass er sich in sein Schicksal fügte.
    Gleich darauf hörte man erneut das Klappern, dann die Schritte zweier Männer im Gang, das Schließen einer Tür.
    Nur Harry musste nun noch hier unten sein. Harry, der schon alt war und Probleme mit der Hüfte hatte.
    Soll ich es wagen?, überlegte Zelda. Soll ich ihn angreifen, um entfliehen zu können? Ich muss es tun. Ich muss so schnell wie möglich nach Edinburgh und Joan finden.
    Wieder wurden Schritte laut, die sich langsam dem Verlies näherten. Schwere, schleppende Schritte, die von einem Ächzen begleitet waren.
    Zelda eilte auf leisen Sohlen zu ihrem Strohsack, legte sich darauf nieder und tat, als ob sie schliefe.
    Sie hörte, wie ein Schlüssel in die vergitterte Tür gesteckt und im Schloss gedreht wurde. Mit einem Auge blinzelte sie und sah, dass der Wachmann Harry die Holzschüssel mit einer Kehle füllte.
    »Ahhhh!«, stöhnte sie. »Ahhhh!

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