Uferwald
nicht...
»Was ich jetzt gerne wissen möchte«, sagte Dorothea Dannecker und beugte sich vor, um Tamar in die Augen sehen zu können, »die Ermittlungen sind ja von Ihnen ausgegangen, also von dem Dezernat, das für Kapitalverbrechen zuständig ist. Darf ich fragen, mit welchem Vorwurf oder welchem Anfangsverdacht Sie zu meinem Mann gekommen sind?«
Tamar schüttelte den Kopf. »Kein Vorwurf. Kein Anfangsverdacht. Wir ermitteln wegen des Todes eines jungen Mannes, von dem wir wissen, dass er einmal Kontakt zu Ihrem Mann aufgenommen hatte.«
»Und?«
»Die Antworten, die Ihr Mann uns dazu gegeben hat, haben leider weitere Fragen aufgeworfen.«
»Wann ist dieser junge Mann ums Leben gekommen?« »In der Neujahrsnacht 1999.«
»Ach!« Dorothea Dannecker hob den Kopf. »Hat Ihnen denn mein Mann nicht gesagt, dass er damit gar nichts zu tun haben kann? Den Jahreswechsel 1998/99 haben wir gemeinsam verbracht, im Kloster Neresheim, es waren Tage der Besinnungzum Jahreswechsel, und wir haben auch beide an der Mitternachtsmesse teilgenommen.«
»Sie erlauben?« Tamar klappte ihren Schreibblock auf und notierte ein paar Stichworte. Neresheim liegt etwa zehn Kilometer hinter Heidenheim, also sind es von Ulm rund sechzig Kilometer, und den größten Teil davon fährt man über die Autobahn. Vierzig Minuten? Es kam auf die Witterungsbedingungen an.
»Das ist für uns natürlich ein wichtiger Hinweis«, sagte sie höflich. »Auch wenn unsere Ermittlungen noch nicht so weit sind, dass wir danach hätten fragen wollen. Dieser Aufenthalt im Kloster ist Ihnen noch sehr gegenwärtig? Ich frage, weil das schließlich fast sieben Jahre her ist.« Sie lächelte. »Mich dürften Sie zum Beispiel nicht danach fragen, wo ich 1999 Urlaub gemacht habe, ich müsste das erst sortieren und nachrechnen.«
»Das waren Tage der Besinnung in einem Kloster«, antwortete Dorothea Dannecker. »Eine Zeit der spirituellen Einkehr, der Begegnung mit Gott. Das sollten Sie vielleicht nicht mit einem Urlaub im Club Méditerranée vergleichen, oder wo Sie sonst gewesen sein mögen.«
Tamar antwortete nicht. Das Lächeln war verschwunden, und sie wartete.
»Ich will sagen – das gräbt sich eben anders in die Erinnerung ein«, fuhr die Richterin schließlich fort, und ihr Tonfall war um eine Winzigkeit verbindlicher geworden, »übrigens auch deswegen, weil das ein Jahr vor dem Millennium gewesen ist, erst neulich habe ich mit meinem Mann darüber gesprochen.«
Tamar nickte höflich. »Ich nehme an, Sie sind mit dem Auto nach Neresheim gefahren. Wissen Sie noch, was das für ein Wagen war?«
»Ich bitte Sie!«, antwortete Dorothea Dannecker entrüstet, »das ist bald sieben Jahre her. Wie soll ich da noch...?«
»Vielleicht können Sie sich erinnern, ob Sie mit Ihrem Wagen gefahren sind oder dem Ihres Mannes?«
»Sicher«, setzte Dorothea Dannecker an, sprach dann aber nicht weiter. Sie betrachtete Tamar, als müsse sie jetzt ganz besonders auf der Hut sein.
»Was ist sicher?«, fragte Tamar.
»Nichts.« Dorothea Dannecker schüttelte den Kopf. »Nichts ist sicher. Kann sein, dass wir den Wagen meines Mannes genommen haben, möglich auch, dass wir mit zwei Wagen gefahren sind, weil mein Mann zwischendurch nach seiner Kanzlei sehen musste.«
So ist es recht, dachte Tamar. Alle Optionen offen halten. Aber das Alibi, das für alles und jedes gelten soll, zählt am Ende gar nichts.
Sie hatte keine Fragen mehr und dankte für den Besuch, und Dorothea Dannecker ging, fast widerstrebend.
Zwanzig Minuten später rief Tamar bei der Polizei in Heidenheim an und bat, bei den Benediktinern im Kloster Neresheim wegen der Besinnungstage am Jahresende 1998 nachzufragen und um eine Teilnehmerliste zu bitten.
N och immer hatte Kuttler das Kopfteil des Bettes hochgestellt. Das Abendessen war abserviert, im zweiten Bett lag Hattakuk, nicht mehr schlafend, nicht mehr schnarchend, aber benommen und ruhig gestellt.
Kuttler schrieb.
... Sie haben Hattakuk den Magen ausgepumpt, das hätte auch nicht sein müssen. Hätte ich protestieren sollen? Was wissen denn Sie, hätte es geheißen, hätten Sie lieber aufgepasst! Dass der nichts trinken darf, das muss doch jedem klar sein.
Vermutlich fehlt es mir an Zivilcourage. Kerstin würde sofort erklären, dass ich deshalb zur Polizei gegangen bin. Nur wird mir Kerstin nichts mehr erklären, niemals mehr. So einfach kann Glück sein. – Dafür hat vorhin Tamar angerufen: Es gibt also doch ein
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