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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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können, weil nichts in Ihrem Kopf ist?«
    »Wie viel haben Sie dem Mann gegeben?«
    Dannecker schwieg.
    »Wie viel?«
    Noch immer keine Antwort. Tamar überlegte. Schließlich drehte sie sich um und nahm von der Ablage auf dem Regal das »Tagblatt«, das sie sich am Morgen in der Pressestelle besorgt hatte, und schlug die Seite mit dem Bericht von der Vernissage im Kunstverein auf. Eine Weile betrachtete sie das Foto von Alexander Keull, dem Bildhauer, der früher einmal – wenn das stimmte, was Tilman Gossler in seinem Tagebuch notiert hatte – sein Atelier im Söflinger Gewerbegebiet hatte, in der Ecke einer Autowerkstatt...
    »Fünfzigtausend«, sagte Dannecker unvermittelt. »Mark natürlich, noch keine Euro.«
    »Und wem haben Sie es gegeben?«
    »Das weiß ich nicht. Dem Kerl vermutlich. Ich sollte das Geld in einer Schulmappe verstauen und die Mappe in einem Schließfach des Hauptbahnhofs deponieren. Den Schlüssel sollte ich bei einer Verkäuferin am Obststand abgeben, da gab es einen im Bahnhof oder gibt ihn immer noch, ich sollte ihr meinen Namen nennen und ihr einen Zwanziger geben... mehr weiß ich nicht.«
    In diesen Verkaufsständen im Bahnhof, dachte Tamar, arbeiten junge Leute für dreihundert Euro, und wenn sie es drei Monate am Stück tun, ist es eine lange Zeit. Trotzdem stand sie auf und ging ins Nebenzimmer. Konnte Wilma etwas übernehmen? Sie konnte.
    »Da gibt es einen Obststand im Hauptbahnhof. Frag doch mal die Bahnhofspolizei, wer Anfang des Jahres 1999 dort beschäftigt gewesen ist oder wer darüber Auskunft geben könnte. Es muss eine Frau gewesen sein.« Sie legte Wilma das »Tagblatt« mit dem Bericht über die Vernissage hin. »Falls du rauskriegst, wer es war, frag sie, ob sie einmal für jemanden einen Schließfachschlüssel aufbewahrt hat. Für diesen Typ hier...«
    Tamar ging zu Dannecker zurück. »Sie wollten mir noch sagen, wo Sie die Stoßstange auswechseln ließen.«
    Argwöhnisch blickte der Anwalt hoch, antwortete aber nicht.
    »Sie haben behauptet, Sie hätten den Daimler selbst gewartet«,fuhr Tamar im Plauderton fort. »Aber mein Kollege Leissle hat sich Ihre Garage angeschaut. Dort soll es ja wirklich aussehen wie in Heimwerkers Werbeprospekt. Nur habe ich mir Ihre Hände angesehen. Die schauen ziemlich gepflegt aus. Sie arbeiten damit nicht als Freizeitmechaniker.«
    Dannecker betrachtete seine Hände. Dann zuckte er die Achseln.
    »Im Söflinger Gewerbegebiet hat es vor Jahren eine freie Autowerkstatt gegeben«, sagte Tamar, »also eine, die nicht an eine Automarke gebunden war, der Inhaber war ein Kroate.« Sie stand auf und ging zu dem Ulmer Stadtplan, der gegenüber der Fensterseite ihres Büros aufgehängt war. »Hier«, sagte sie und deutete auf einen eng umrissenen Bereich. »Ich nehme an, man hat dort bar bezahlt und die Preise verstanden sich ohne Buchführung, Steuer und Sozialabgaben. Und weiter nehme ich an, dass Sie die Werkstatt kannten und dass Sie dort Kunde waren. Das war ja auch praktisch, Sie konnten den Wagen abgeben und hatten dann zu Fuß nur ein paar Minuten zu Ihrer Wohnung.« Ihr Zeigefinger glitt über den lang gestreckten Straßenzug des Fünf-Bäume-Weges, knapp oberhalb des Gewerbegebiets.
    Sie unterbrach sich. Wozu erzählte sie das alles? Der Mann vor dem Schreibtisch sah ihr gleichgültig, fast gelangweilt zu, als warte er auf eine Frage und wisse nicht, was diese mit der Werkstatt zu tun haben könnte und damit, ob er dort Kunde gewesen sei.
    »Sind Sie eigentlich einmal mit Solveig in dieser Werkstatt gewesen?«
    Dannecker hob seine Hände und ließ sie wieder fallen. »Ich muss sehr um Ihre Nachsicht bitten, aber das weiß ich wirklich nicht mehr. Es kann sein, aber ich erinnere mich nicht und weiß auch nicht, welche Bedeutung das haben soll. Übrigens werde ich müde, und vor weiteren Erklärungen würde ich mich gerne erst mit einem Kollegen beraten.«
    Tamar schob ihm ihr Telefon zu, ging ins Nebenzimmer und rief Staatsanwalt Desarts an.
     
    L uzie Haltermann verließ den Lift, eine voll gepackte Plastiktüte in der Hand, und wandte sich nach rechts, zu den Personalparkplätzen, und ging einige Schritte, bis ihr wieder einfiel, dass ihr Wagen dort nicht stand. Damit hat es doch begonnen, da war schon alles gesagt, nur du hast es nicht begriffen, du dumme Kuh... Sie drehte sich um und verließ das Gebäude durch den Haupteingang, mit einem kurzen Kopfnicken als Gruß zum Pförtner, ohne wahrzunehmen, wer dort saß oder ob der

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