Uferwald
Desarts. »Wir brechen das Gespräch jetzt ab, es sei denn, Sieerklären uns auf der Stelle, was Sie meinem Mandanten überhaupt vorwerfen.«
»Gleich«, antwortete Desarts freundlich und studierte noch immer den Zeitungsausschnitt. »Diese Statue, die ist aus Autoblech gemacht, nicht wahr?« Fragend hielt er dem Bildhauer das Zeitungsfoto hin.
Keull blickte von seinen Fingernägeln auf und nickte wortlos.
»Na schön«, sagte Desarts, legte den Ausschnitt zur Seite und wandte sich dem Anwalt zu. »Ich sagte Ihnen schon, dass wir wegen eines Verbrechens der vorsätzlichen Tötung ermitteln, und zwar begangen in der Nacht zum ersten Januar 1999, das Opfer war ein Tilman Gossler, dreiundzwanzig Jahre alt. Er war mit dem Fahrrad nach Thalfingen unterwegs, als er auf der Uferstraße von einem Autofahrer angefahren und tödlich verletzt wurde. Der Fahrer beging Unfallflucht, und zunächst wurde angenommen, es sei dies ein typischer Unfall unter Alkoholeinfluss gewesen.«
»Und?«, fragte Petri.
»Der Fahrer stand nicht unter Alkoholeinfluss«, fuhr Desarts fort, »da sind wir uns ziemlich sicher. Und er hatte ein Motiv, vorsätzlich zu töten. Ein solides, handfestes Motiv. Der Getötete hatte bereits zuvor Kontakt mit Herrn Dannecker aufgenommen und ihn mehr oder weniger direkt zur Rede gestellt, und zwar wegen des Geldes, das Ihr Kollege unterschlagen hat, wenn ich insoweit den Feststellungen des diesbezüglichen Strafverfahrens vorgreifen darf... ja, mehr noch: Tilman Gossler wollte sich an die Polizei wenden, aus erster Hand wissen wir das.«
»Sie sollten das alles einmal mit Herrn Dannecker diskutieren«, schlug Petri vor. Er hatte sich in seinem Stuhl zurückgelehnt und betrachtete den Staatsanwalt aus wachen Augen, die gar nicht so gleichgültig dreinsahen, wie seine Stimme klang.
»Das haben wir bereits«, antwortete Desarts freundlich. »Nur gibt es ein kleines Problem. Gewiss hatte der Herr Danneckerein Motiv. Aber woher wusste er, wann Tilman Gossler welchen Weg mit dem Fahrrad nimmt, so dass er ihn dort würde totfahren können? Die einzige Person, die Tilman Gossler zu dieser Fahrt hätte bewegen können, war die von Gossler zu seinem Unglück hoch verehrte Solveig Wintergerst. Sie war also auch die Einzige, die wusste, wohin er unterwegs war, und die seinen Mörder dorthin schicken konnte.«
Desarts unterbrach sich, ging zu dem Telefon und seinem Schreibtisch und gab eine kurze Anweisung durch: »Sie können jetzt kommen!« Petri blickte auf, mit einem Gesichtsausdruck, der alarmiert war und geradezu empört.
Desarts blieb stehen, drehte sich aber wieder zu dem Besprechungstisch um.
»Solveig also, die einzige Person, die gewusst hat, was passieren würde, hat dieses Wissen nicht mit Dannecker geteilt. Sie hat ihn ja kurz darauf verlassen. Sie hat ihr Wissen mit ihrem Liebhaber geteilt. Damit das Paar den Herrn Dannecker noch einmal gründlich melken konnte. Ach, Herr Keull, darf ich Ihnen nicht doch eins von meinen Bonbons anbieten?«
Keull blickte hoch, als erwache er aus einem wirren Traum. Es klopfte.
»Herein!«, rief Desarts.
Zwei uniformierte Beamte betraten das Zimmer.
D as kleine Café in der ersten Etage der Pfauengasse lag für Touristen zu abseits, so kamen meist nur diskrete Liebespaare hierher und alte Damen, letztere des gedeckten Apfelkuchens oder vielleicht auch einer eigenen diskreten Erinnerung wegen. Warum um Gottes willen haben wir uns ausgerechnet hier verabredet?, fragte sich Luzie und betrachtete Schleicher, der in seinem Tee herumrührte, nur damit er sie nicht anzusehen brauchte.
»Ich kann dir beim besten Willen nicht helfen«, sagte Matthes schließlich und blickte sie aus seinen undurchdringlichengrünen Augen an. »Wie stellst du dir das vor? Dass der Oberbürgermeister bei der Staatsanwaltschaft anruft und denen Vorschriften macht?«
»Von deinem besten Willen kann überhaupt keine Rede sein«, unterbrach ihn Luzie. »Als sie mich bei den Heimstätten rausgeworfen haben, hast du keinen Finger für mich gerührt, obwohl du ganz genau gewusst hast, wie sich alles verhalten hat. Du wirst niemals etwas tun, was deiner Karriere schadet oder was dir auch nur ein Stirnrunzeln der Dienstleistungsgewerkschaft einbringen könnte.«
»Hör auf«, sagte Matthes halblaut. »Die Leute gucken schon.«
»Ja«, antwortete Luzie, »so bist du. Da mag sein, was will – Hauptsache, dass die Leute nicht gucken. Aber es geht gar nicht um mich. Es geht um Sascha. Er ist
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