Uferwald
Ihnen einen Vorschlag«, antwortete Kuttler undtraute seiner eigenen Stimme nicht. »Bringen Sie die Leute aus der Clique zusammen, alle, die damals dabei waren, am besten heute Abend, am besten im Eastside, und wir sprechen durch, wie das damals abgelaufen ist, und wenn es nötig ist, spielen wir es nach. Rufen Sie mich wieder an, wenn alle zugesagt haben, Puck wird mit mir kommen.«
Janina ließ die Füße los und plumpste wie ein Kartoffelsack in seine Arme.
U nd was wollen Sie als Nächstes? Die ›Mona Lisa‹ ins Säurebad legen, um zu sehen, ob Leonardo da Vinci womöglich Cannabis konsumiert hat?« Mit einer Geste, die komische Verzweiflung signalisieren sollte, warf Petri beide Hände hoch, dass die Talarärmel flogen.
»Das fiele kaum in meine Zuständigkeit«, antwortete Desarts leise.
»Ähm«, machte der Vorsitzende Richter der Strafkammer, »ich will Ihrem Mandanten nicht zu nahe treten, aber sind Sie ganz sicher, dass Ihr Vergleich gerade sachgerecht war?«
»Bitte?«, fragte Petri zurück.
»Der Vorsitzende meint«, sagte der erste Beisitzer, »ob wir wirklich ein Stück verbeultes Autoblech mit der Mona Lisa vergleichen sollten.«
»Ha!«, sagte Petri, »das exakt ist der Punkt! Ein Werk vom Rang der ›Mona Lisa‹ also würde das Hohe Gericht kaum einer Staatsanwaltschaft zum Fraß vorwerfen, die in ihrer schieren himmelschreienden Beweisnot offenbar alle Schranken des gesunden Menschenverstandes niederreißen will... nein, Hohes Gericht, die Mona Lisa würden Sie nicht preisgeben wollen, sehr nachvollziehbar. Aber woher wissen Sie, welchen Rang die Figur ›Traumtänzer‹ beanspruchen darf?«
Er kam um seinen Tisch herum und ging zu der Skulptur, die vor der Richterbank aufgestellt war, dort, wo sonst Zeugen Platz nahmen.
»Immerhin handelt es sich hier um die Arbeit eines international tätigen und anerkannten Bildhauers«, fuhr er fort und zeichnete mit der Hand die Konturen der Figur nach, die fast so groß war wie er selbst, »eines Bildhauers, der bereits in Paris und an der Côte d’Azur viel beachtete Ausstellungen gehabt hat.« Beiläufig warf er einen Blick auf einen Zettel, den er in seinen Talarärmel gesteckt hatte. »Kunst ist längst nicht nur das Schöne als sinnliches Scheinen einer Idee, wie der Herr Beisitzer vielleicht annehmen mag, es umfasst im modernen Verständnis auch Werke, die einer materiellen Scheinhaftigkeit, ja selbst der formalen Intention gänzlich entbehren...« Beschwörend hatte er die Hand gehoben, jetzt ließ er sie wieder sinken, als warte er die Wirkung seiner Worte ab. »Falls das Hohe Gericht unserer Beschwerde gegen die Beschlagnahme der Skulptur ›Traumtänzer‹ nicht ohnehin stattgeben will«, fügte er mit normaler Stimme hinzu, »beantrage ich deshalb die Zuziehung eines Kunstsachverständigen, der nach Rücksprache mit der Kunstakademie Stuttgart benannt werden könnte.«
Damit ging er zu seinem Tisch zurück, setzte sich und verschränkte beide Arme. Der Vorsitzende Richter blickte zu Desarts.
»Die Strafkammer kann sich selbst ein Bild machen«, sagte Desarts, »dass es sich um Relikte eines Unfallwagens handelt, um Relikte, die als Kunstwerk bloß ausgegeben sind, als solches bloß behauptet werden.«
Der zweite Beisitzer beugte sich nach vorn und betrachtete Desarts. »Sagen Sie mal – was wollen Sie an diesem Ding eigentlich untersuchen lassen?«
»An diesem Ding!«, echote Petri empört.
»Wir glauben, dass sich an diesen Karosserieteilen noch Anhaftungen von einem Zusammenstoß mit einem Fahrrad finden lassen, möglicherweise auch unter der später dazugekommenen Bemalung«, antwortete Desarts. »Wie ich mir habe sagen lassen, wird das Kriminaltechnische Labor des LKA einzelne punktuelle Stichproben von der Lackierung nehmen. Esseien dies Eingriffe, wurde mir gesagt, die die Substanz der Arbeit völlig unbeeinträchtigt lassen.«
»Ja, warum nicht gleich die ganze Moderne Kunst ins Säurebad!«, rief Petri.
Der Vorsitzende Richter und die beiden Beisitzer steckten die Köpfe zusammen.
Petri schüttelte den Kopf. Desarts betrachtete das metallische Ding vor der Richterbank. Plötzlich kam es ihm vor, als beginne es zu schweben und sich zu drehen, aus dem einfachen Grunde, um ihm – Desarts – ein Rätsel aufzugeben. In Wirklichkeit war sein Blutdruck zu niedrig. Er musste sich um einen Termin bei seinem Internisten kümmern.
»Könnten wir uns darauf einigen«, sagte der Vorsitzende, »dass wir in unserem Beschluss
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