Uferwald
Club gewählt hat und ob ich nicht auch einmal kommen wolle, Juristen gebe es eigentlich weniger oder gar nicht im Club...
T. : »Juristen sind von Haus aus reaktionär.«
Schl. : »Du doch hoffentlich nicht.«
T.: »Wart es ab.«
Dann erzählt er mir, dass der Club ein Wochenendseminar über Staat und Politik im dritten Jahrtausend vorbereite, das wäre doch ein unheimlich guter Einstand für mich, wenn ich ein kleines Referat hielte über die Weiterentwicklung der Grundrechte zum Beispiel...
T. : »Grundrechte werden abgebaut, nicht weiterentwickelt.«
Schl. : »Markier nicht den Zynischen! Im Umweltrecht gibt es doch so was, oder dass niemand benachteiligt werden darf, weil er schwul ist oder eine Lesbe...«
T. : »Schon recht. Ich weiß aber nicht, ob ich bei euch überhaupt einen Einstand haben will.«
Schl.: »Hab dich nicht so. Oder traust du es dir nicht zu?«
Ich antworte kühl, dass ich es mir überlegen werde, auch wenn das Thema für ein kleines Referat ein bisschen schwergewichtig sei. Schleicher ist es zufrieden. Such dir einen Schwerpunkt aus, sagt er, und irgendwann kommen wir darauf, dass ich am Wochenende doch nicht in Tübingen bleibe, sondern mit ihm in seinem Golf nach Hause fahre.
Zur Strafe habe ich mir seine Zukunftspläne anhören müssen, dass er zum Beispiel im Frühjahr für den Bundesvorstand vom Argument Club kandidieren will.
»Deswegen muss die Diplomarbeit bis dahin in trockenen Tüchern sein...«
Seine Diplomarbeit handelt, falls ich das richtig verstanden habe, vom Abstimmungsverhalten der südwürttembergischen Metallarbeiter bei den Betriebsratswahlen in den fünfziger Jahren, was um alles in der Welt soll daran noch feucht sein?
»Und irgendwann«, frage ich, »kandidierst du dann für den Bundestag?«
Er schaut zu mir herüber, und über seinen ohnehin weiß-rötlichen Teint zieht sich eine zusätzliche Röte.
»Ich denke, du traust mir nur zu, dass ich einen Schulmeister abgebe?«
Ich sage erst nichts. Soll ich ihm vielleicht erklären, dass es mir am Arsch vorbeigeht, ob er dermaleinst einen Schulmeister oder einen Bundestagsabgeordneten abgeben wird? Und dass ich der Partei, für die Schleicher mutmaßlich antreten wird, jeden sesselfurzenden, aber politisch korrekten Klarsichtmappen träger als Kandidaten zutraue?
»Ich finde«, bemerke ich in so höflichem Ton, wie es irgend geht, »dass das eine ein so nützlicher Beruf ist wie das andere. Und Rente kriegen schließlich beide.«
Er schweigt, etwas beleidigt, zum Glück kommt auch schon die Ausfahrt Ulm-West, und so gelangen wir schließlich direkt in den Glucks- Kasten, wo Luzie gerade dabei ist, dem Juffy die Hucke voll zu quasseln. Damit hört sie auch nicht auf, als wir kommen, im Gegenteil, sie zieht den Schleicher ohne weitere Umstände an ihre Seite und redet weiter und erzählt von ihrem zweiten Praxisjahr, das jetzt im Städtischen Wohnungsamt begonnen hat, und dem Stress mit den alleinerziehenden Müttern, die von der Stütze leben, und dass man geradezu zugucken könne, wie ein ganzer Wohnblock herunterkommt, wenn mehr als eine Problemfamilie dort untergebracht wird.
Schleicher unterstreicht diesmal nichts, sondern hört eine Weile lang zu, und sagt dann etwas davon, dass die Luzie nicht von Problemfamilien reden soll, wir müssten lernen, deviantes Verhalten zu akzeptieren, und das Problem seien nicht die Familien, sondern die Leute, die ihnen das Etikett der Problemfamilien aufbügelten, aber schließlich sagt auch Juffy etwas, dass Schleicher nämlich einerseits Recht habe und andererseits nicht den Hauch einer Ahnung von dem, worüber er da rede, und er solle doch bei seinen Broschüren über die IG Metall in den fünfziger Jahren bleiben!
Nur ich bin still, bis ich plötzlich niesen muss. Mehr hab ich, glaube ich, nicht zur Unterhaltung beigetragen.
Samstag, 7. November
Ich erwache mit einem Schnupfenkopf, benommen und versch wiemelt, und erkläre der alten Frau, dass ich schwimmen gehen will, damit der Schnupfen vorbeigeht oder ein richtiger wird. Das will ich sogar wirklich, aber wie ich ins Westbad fahre und fast schon dort bin, hupt es hinter mir, und es ist der Bilch. Er fährt einen fast neuen BMW, das heißt, er hat ihn ganz neu, auch wenn er gebraucht ist, ob ich nicht Lust hätte, eine Spritztour zu machen, vielleicht nach Konstanz, da gebe es ein Mineralbad. »Ein bisschen spießig, aber keine solche Inkubationsanstalt für Fußpilz wie das hier, am Abend geben sie im
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