Uferwald
erst. »Wessen Idee war es, dass Solveig die Bekanntschaft von Tilman Gossler suchen sollte?«
Keull sah sie an und schwieg. Tamar wartete. Über ihnen knisterte die Neonröhre.
»Ich glaube, das war im Herbst«, sagte Keull in das Schweigen hinein, »da hat Solveig zu Dannecker gewollt – fragen Sie mich nicht, warum – und auf der Treppe zur Kanzlei ist ihr so ein Jungchen entgegengekommen und hat vor sich hin gestarrt wie nicht gescheit, so hat sie es mir erzählt, und als sie beim Dannecker war, ist auch der durch den Wind gewesen, überhaupt nicht ansprechbar. Auf seinem Schreibtisch lag ein Zettel mit dem Namen von dem Jungchen – Gossler, Tilman – und der Adresse, Solveig hat es gelesen und sich gemerkt... Ich bin einfach hingegangen, und das Muttchen hat mir gesagt, dass ich das Jungchen vielleicht in der Stadtbibliothek finde oder später im GlucksKasten.«
»Moment«, unterbrach ihn Tamar. »Sie haben da doch einen Vorwand gebraucht. Was hätten Sie denn Gossler gesagt, wenn Sie ihn angetroffen hätten?«
»Dass ich von der Kirche der Heiligen der Letzten Tage komme«, antwortete Keull. »Oder vom Institut zur Erforschung jugendlichen Konsumverhaltens – irgendwas, er hätte mich ja ruhig auf der Stelle rausschmeißen dürfen.«
Das also, dachte Tamar, ist die wahre Geschichte der Märchenprinzessin. Die Mutter plaudert aus, wo Tilman einkehrt, und schon taucht Solveig dort auf. »Aber warum das alles?«
»Das war ja mit Händen zu greifen, dass Dannecker ein Problem hatte«, antwortete Keull, »schon in den Wochen vorher hatte er gejammert, dass er etwas knapp bei Kasse ist. Wir wo llten einfach wissen, was da auf ihn zukommt, verstehen Sie?«
»Und? Haben Sie es herausgefunden?«
»Nun tun Sie nicht so«, antwortete Keull ärgerlich. »Das müssen Sie doch wissen, dass Geld gefehlt hat, das Schmerzensgeld für diesen Rollstuhlfahrer, deswegen sind Sie doch dem Dannecker überhaupt an den Kragen gegangen. Solveig hat das ziemlich schnell herausbekommen, sie wusste von dem Jungchen, wonach sie suchen musste, und hat in Danneckers Aktentasche die Kontoauszüge gefunden, als er...« Keull brach ab und starrte auf den Tisch.
»Als er was...?«
»Den Rest können Sie sich doch denken«, antwortete er gleichgültig. »Sie hat das Zeug gefunden, als Dannecker bei ihr im Bett lag und sein bisschen Altmännerbumsen mit ihr gehabt hatte und sich eins wegschnarchte, weil er schon wieder knülle war vom Schnaps aus seinen Flachmännern... Macht Ihnen das eigentlich Spaß, dass Sie mich so etwas erzählen lassen?«
Tamar ging nicht darauf ein. »Wollten Sie ihm das Geld abnehmen?«
»Sie haben wirklich keine Ahnung.« Keull lachte unfroh. »Das Geld war schon vorher weg. Der Grandseigneur hatte die ganze Zeit schon auf Pump gelebt. Und wir, wir wollten weg, vor allem Solveig war am Durchdrehen, es war ihre Idee gewesen, dass wir nach Paris gehen sollten, dann wäre alles vergessen... Aber wir hatten nichts, sie nicht und ich nicht, ich hatte bloß Schulden bei Zagorac, und glauben Sie ja nicht, Sie könnten der kroatischen Mafia etwas schuldig bleiben und einfach abhauen! Wir mussten bleiben und froh sein, wenn Dannecker mal wieder fünfhundert rausrückte.«
Deswegen also wollte Solveig nicht, dachte Tamar, dass Tilman zu diesem Polizeimann geht. Zu Berndorf. »Aber plötzlich konnten Sie doch nach Paris.«
»Das hab ich Ihnen doch schon erklärt«, kam die Antwort. »Als die Geschichte über diesen totgefahrenen Tilman Gossler in der Zeitung stand, dachten wir, wir könnten Dannecker einreden, er sei es gewesen. Der war ja breit wie eine Natter gewesen, als er in der Neujahrsnacht bei Solveig erschien. Erst hab ich ihm nur einen kleinen Schrecken einjagen wollen. Aber irgendwann kam es mir, dass Dannecker eine treusorgende Ehefrau hat und niemals so pleite sein kann, dass er nicht noch vier Mark fuffzich für einen Menschen auftreiben kann, der ihm in der Neujahrsnacht die Freundin überläßt.«
»Nicht bloß vier Mark fünfzig«, erinnerte ihn Tamar.
»Is ja gut«, sagte Keull, »unter Gejammer und Geschreibrachte er fünfzigtausend zusammen, das war ja immer noch besser, als in den Knast zu gehen, und ich hab den Zagorac bezahlt und bin mit Solveig ab nach Paris, das muss so Anfang Februar gewesen sein.«
Die ganze Zeit über hatte sich Tamar Notizen gemacht. Jetzt steckte sie den Notizblock ein. »Und waren Sie erfolgreich in Paris?«
»Ach Scheiße!«, antwortete Keull. »Ohne Beziehungen
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