Uferwald
reden wir über Weihnachten, sie wird ihre Mutter in Freiburg besuchen, und was tust du?
Ja, was werde ich wohl tun? Nicht viel anderes, Weihnachten unterm Tannenbaum, Sekt vom Aldi, die ff. Wiener mit Kartoffelsalat vom Metzger Goschenhofer... Vielleicht will ich am ersten Feiertag Rolli-Rolf besuchen, aber das geht ja nicht, ich hab ja Hausverbot dort. Sie fragt mich, ob ich mit der Geschichte von Rolli-Rolf nicht zur Zeitung gehen will. Einen Augenblick lang finde ich das einen guten Vorschlag, einen wirklich guten sogar, dann fällt mir ein, dass Rolli-Rolfs Geschichte auf gar keinen Fall publik werden darf: Wenn die Kumpel im Heim Zuflucht spitzkriegen, dass er Geld zu erwarten hat, kassieren sie ihn gnadenlos ab.
Aber irgendwas musst du doch tun, sagt sie und schaut mich an. Ja, sage ich, du hast Recht, und sie sagt, du hast doch schon mal mit dem Rechtsanwalt von dem armen Kerl gesprochen, diesem Dannecker? Ja, antworte ich ausweichend, und sie sagt, du bist also gegen die Wand gelaufen... Ich zögere mit der Antwort, und dann redet sie auch schon weiter und sagt, sie habe eine Freundin, die arbeite in Danneckers Kanzlei, ob sie versuchen darf, diese Freundin nach dem Fall zu fragen?
Ich habe zwar meine Zweifel, aber was weiß ich, wie geschwätzig Frauen unter sich sind! So sage ich höflich, dass es natürlich toll wäre, wenn sie etwas herausfände. Denn dann wüsste ich, wo ich ansetzen könnte. Mit gezielten Fragen. Vielleicht könnte ich sogar Druck machen, richtig Druck.
Ja, sagt Solveig, vielleicht kann sie heute Abend mit der Freundin telefonieren. Dann bringt sie mich noch darauf, dass wir Rolli-Rolf ein kleines Weihnachtspäckchen schicken sollten, ein paar Pralinen, einen Gruß, nichts weiter. Die Pralinen besorgen wir am Hauptbahnhof, und in der Bahnhofsbuchhandlung finde ich sogar einen kleinen Band mit Schachproblemen. Als wir in der Hauptpost ein Päckchen daraus machen und ich meinen Namen als Absender angeben will, sagt Solveig, dass das vielleicht nicht so klug sei und der Heimleiter das Päckchen möglicherweise beschlagnahmt. Sie hat Recht, und so wird Rolli-Rolf zu Weihnachten eben ein Päckchen von Wolfram Dann ecker bekommen, seinem Anwalt.
Dienstag, 23. Dezember
Wie immer muss ich einen Tannenbaum besorgen, wie immer suche ich den kümmerlichsten aus, wie immer schlägt die alte Frau die Hände zusammen, was für ein schöner Baum! Im »Brettl« auf Solveig gewartet, sie kommt etwas zu spät, ist in Eile und sehr ernst. Sie spricht sehr leise, mit gesenktem Kopf, ich müsse mir überlegen, was ich jetzt tue, sagt sie, sie habe nämlich mit ihrer Freundin gesprochen, und die kenne den Fall Kaminski ganz genau und wisse nicht, wo das Problem liege. Die Versicherung habe nämlich längst gezahlt, 200000 Mark...
Dann schaut sie auf.
Er hat mich angelogen, sage ich. Sie zieht die Augenbrauen hoch. Du hast einem Anwalt geglaubt? Wirklich?
Ich sage nichts, sondern blicke dumm auf den Tisch hinunter. Ich bin verlegen. Die ganze Zeit markiere ich den Großen Juristen Ei Rächer der Enterbten, aber in Wahrheit erreiche ich überhaupt nichts. Und diese Frau ruft eine Freundin an, und im Handumdrehen hat sie die harten Fakten.
Was wirst du jetzt tun?
Die Daumenschrauben werd ich anlegen, sage ich, schon wieder großmäulig wie Juffy im schlimmsten manischen Zustand... Zuerst vielleicht nur Nadelstiche. Vielleicht doch übers Tagblatt, aber ohne dass die es dort merken. Die Ankündigung fiktiver Vorträge zum Beispiel. Rechtsanwalt Wolfram Dann ecker spricht heute in der Volkshochschule über die gewinnbringende Vertretung von Unfallopfern. Und vielleicht auch Graffiti. Einfach eine Schablone mit der Zahl 200000 schneiden und die Zahl dann so oft auf den Gehsteig und die Eingangstür der Kanzlei sprayen, dass sie dem Herrn Rechtsanwalt und jedem von seinen Mandanten bei jedem Schritt ins Auge springt, und das jeden Morgen.
Plötzlich merke ich, dass mich Solveig mit diesem Blick ansieht, den ich schon kenne, ein wenig mitleidig, wie man halt einen dummen Schwätzer und Aufschneider ansieht, von Isolde kenne ich das.
Dann muss Solveig auch schon gehen. Ich werde sie erst am Montag nach Weihnachten wieder sehen.
Bestimmt? frage ich.
Vielleicht, sagt sie.
Mittwoch, 24. Dezember
Weihnachten nach Ansage. Würstchen, Aldi-Sekt, Kartoffelsalat. Nach dem zweiten Glas wird die Alte Frau rührselig, so oft würden wir Weihnachten nicht mehr zusammen feiern, ganz sicher würde ich
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