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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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die Nerven fallen, aber ich hätte gerade ein wenig Stress gehabt. Tatsächlich zittern mir die Knie, auch wenn das vielleicht ein Klischee ist, aber sie tun es wirklich.
    Luzie schaut mich an, mäßig interessiert, und fragt, ob ich mir eine Abfuhr geholt habe? Wieso Abfuhr, frage ich zurück, und sie sagt, ich würde mir ein paar Dinge zu viel einbilden, und eines davon sei, dass man es mir nicht ansehe, wenn ich wieder einmal auf die Fresse gefallen sei...
    Wie du meinst, antworte ich, und sie fährt fort, sie hätte es mir gestern gleich sagen sollen, dass das mit dieser Solveig nichts wird, ob ich eigentlich gesehen hätte, was die für Klamotten habe? Das heißt, sagt sie im gleichen Atemzug, natürlich hätte ich es nicht gesehen, weil ich ganz einfach keine Ahnung habe, es sei ja nun wirklich nicht ihre Art, jemandem sein Outfit vorzuhalten, aber ob ich eigentlich wisse, wie ich in dieser grünen Jacke aussehe?
    Das sei sehr lieb von ihr, antworte ich, wie es überhaupt immer ganz reizend von Luzie sei, den Menschen die Augen über sich selbst zu öffnen, aber Luzie ist nicht zu bremsen und redet weiter und erklärt mir, dass sie auf den ersten Blick gesehen habe, dass Solveig diese Klamotten und dieses Auto niemals von dem bezahlen könne, was sie beim Schoepflin verdiene, wenn sie nur daran denke, dass diese Solveig natürlich nicht irgendein Auto fahre, sondern einen Deux Chevaux, was glaubst du, was der Geld für Reparaturen frisst... Dieser Schnepfe, fuhr Luzie fort (ausgerechnet Luzie fuhr so fort), dieser Schnepfe könne ich vielleicht eine amüsierte halbe Stunde lang mit meiner Aura als Dichter der leeren Seiten Aufmerksamkeit abgewinnen, aber von allem, was darüber hinausgeht, solle ich die Finger lassen, aber das habe ich inzwischen selbst begriffen: »Das ist nicht deine Kragenweite, verstehst du das? Und überhaupt – bist du nicht überhaupt, wie soll ich sagen... andersrum?«
    Dazu sage ich nun überhaupt nichts, nicht einmal, dass sie offenbar auch über das andere Ufer die besseren Informationen habe. Ich lächle sie arglos an, kippe meinen Espresso, zahle und gehe... Erst im letzten Augenblick fällt mir noch ein, Luzie freundliche Grüße an Schleicher aufzutragen.
    Zur Buchhandlung Schoepflin gehört ein Antiquariat. Das war unverdächtig, ich suchte schon länger eine Ausgabe von Hamsuns »Hunger«. In der Buchhandlung standen mehrere Kunden herum, Solveig war nicht zu sehen, und ich ging rasch ins Antiquariat hinauf, wo ich früher bereits das eine oder andere Mal gewesen war und in den aufgelassenen Bibliotheken hingeschiedener Studienräte und Rechtsanwälte gestöbert hatte: eine Asservatenkammer sch weinslederner Historienschinken, leicht angestoßene Kunstbände, in Leinen eingesargte gesammelte Werke unserer mausetoten Klassiker, was tat ich hier? »Hallo«, sagt eine Stimme, dass alle Katzen im Chor geschnurrt hätten, und aus einem Seitengang tritt Solveig und lächelt mich an.
    Ich weiß nicht mehr, was ich sage, möglicherweise etwas so Dämliches wie: dass man sich so rasch wieder sehe... Eilig frage ich nach »Hamsun« und »Hunger«, und sie will im Computer nachsehen, und ich stehe neben ihr und sehe, wie sie »Hamsen« eingibt, ich korrigiere sie, und sie schaut zu mir hoch und lächelt und sagt, oh, ist das jetzt peinlich? Und ich antworte, nein, wirklich nicht, aber wie lange sie noch arbeiten müsse und wie es wäre, wenn wir danach einen Kaffee trinken? Oh, sagt Solveig, sie hat am Nachmittag eine Freundin zu Besuch, aber ein Kaffee geht, und um 14 Uhr hat sie frei.
    Die Zeit bis dahin geht irgendwie vorbei, sehr langsam, eigentlich überhaupt nicht, dann muss ich noch fast eine Viertelstunde warten, bis sie kommt und es mir schon wieder die Sprache verschlägt. Wir gehen ins »Brettl«, das ist zwar nicht das »Deux Magots«, aber von der Clique kommt da eher niemand hin, und irgendwie will ich jetzt keine Luzie und keinen Bilch und auch keinen Juffy dabeihaben.
    Jetzt, ein paar Stunden später, weiß ich nicht mehr, worüber wir geredet haben. Dass sie aus Freiburg ist. Dass ich natürlich keinen Roman schreibe. Dass ich nicht weiß, warum ich Jura studiere. Oder doch. Und ich erzähle von Rolli-Rolf und von dem Wutanfall des Simon Rotter, und sie schaut mich mit ihren großen schlehenfarbenen Augen an, und ich weiß nicht, was ich darin lesen soll. Aber dann muss sie zu ihrer Freundin, aber wir gehen morgen Abend ins Kino, falls ich nicht Karten fürs Theater

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