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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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bekomme.
     
    Sonntag, 21. Dezember
    Im Zimmertheater wird »Kommen. Gehen. Schweigen« gezeigt, ich hatte schon bessere Einfälle, Solveig scheint eher gelangweilt. Das Stück handelt davon, dass die Menschen nicht miteinander reden können, erkläre ich ihr in der Pause, genauer: dass Mann und Frau einander nicht verstehen können, und sie sagt, wenn das so ist, ist es doch schlimm genug, und man muss nicht noch ein Theaterstück daraus machen. Warum macht man kein Theaterstück, das erfindet, wie man miteinander reden kann? Ich weiß keine Antwort darauf, und auch nach dem Theater fällt mir keine ein, als wir in der Kneipe in der Dreikönigsgasse noch ein Glas trinken, schließlich flüchte ich mich in die Ausrede, Kunst verabscheue es, erklärt zu werden. Dann will sie nach Hause, wo ist das eigentlich? Ach, antwortet sie, hast du nicht gesehen, dass meine Ente ein Neu-Ulmer Kennzeichen hat? Ich bringe sie zum Parkhaus, sie will mich nach Hause fahren, aber das will nun ich nicht, und so setzt sie mich vor dem Hochhaus in der Karlstraße ab, im Auto versuche ich noch, sie zu küssen, aber sie wehrt ab. Als ich aussteige, fragt sie mich, ob ich sie morgen Nachmittag begleite, zu einem Künstler, bei dem sie für einen alten Freund ein Geschenk aussuchen will. Ich weiß nicht, was das werden soll.
    Montag, 22. Dezember
    Bei Sascha Keulls Atelier handelt es sich um einen Schuppen in einem Gewerbegebiet im Blautal, hinter Söflingen noch, genauer gesagt befindet sich das Atelier in einer Ecke einer alten Autowerkstatt, die von einem Kroaten betrieben wird, der schon lange keinen Vertrag mit einer Automarke mehr hat oder vielmehr einen solchen nie gesehen haben wird. Solveig lässt ihre Ente dort warten, sonst käme sie überhaupt nicht über die Runden, sagt sie (Luzies Ohren sollen klingen!), aber offenbar lässt nicht nur Solveig beim Kroaten arbeiten, denn in einer Ecke entdecke ich ein Auto mit hochgeklappter Motorhaube, das ich kenne, es ist Isoldes Renault, der angeblich vor Behagen jault, wenn man ihn mit dem Gaspedal tritt.
    Zu der Werkstatt gehört eine Art Wohnung, vielleicht könnte man es auch ein Wohnklo nennen, das nicht der Kroate selbst bewohnt, sondern der Künstler Sascha Keull als Gegenleistung dafür, dass er am Wochenende auf den Schrott aufpasst. Er ist ein großer stämmiger Kerl mit einer lockigen schwarzen Mähne und dieser Ausstrahlung von Selbstbewusstsein, über die ich nichts weiter schreiben will und die vermutlich auch von gar nichts zu erschüttern sein würde, was immer mir dazu einfiele. Solveig ist die Kundin, aber er behandelt sie eher gleichgültig, als liege ihm gar nichts daran, etwas zu verkaufen, schaut aber immer wieder zu mir her, als sei ihm nicht ganz klar, was ich hier soll oder in welcher Beziehung ich zu Solveig stehe. Keull arbeitet in Metall, das heißt, er modelliert Skulpturen aus Kotflügeln und malt spiegelnde Konvex- oder Konkav-Bilder auf Autotüren, oder er feilt einen Motorblock zu etwas zurecht, was womöglich ein weiblicher Akt sein soll. Solveig scheint unschlüssig, so, als ob sie mit seinen Sachen eigentlich überhaupt nichts anfangen kann, ich sage ihr, dass ich eines dieser Autotürenbilder mit einer verschwimmenden Stadtlandschaft (so, als ob sich die Straße darin spiegeln würde), sehr interessant finde, aber Keull verzieht plötzlich das Gesicht, als hätte ich etwas gesagt, das unangemessen sei. Solveig meint schließlich, das würde ihr auch recht gut gefallen, aber sie müsse es sich noch einmal überlegen und könne es jetzt auch nicht mitnehmen. Ob sie Keull anrufen und er es ihr dann bringen könnte?
    Ich halte das für eine Absage, plötzlich – warum eigentlich? – bin ich es, der sich blöd vorkommt. Ja sicher, sagt Keull und schreibt ihr eine Handy-Nummer auf, dann stehen wir noch etwas ratlos da, ich deute auf ein Ding, das eine Schreibtischlampe sein könnte und aus einem ausgebauten Autoscheinwerfer gebastelt ist, und sage, dass das pfiffig sei. Wieder verzieht er das Gesicht, und ich sage, ich werde es zwar nicht bezahlen können, aber was es denn kosten würde? Er sagt: Fünfzig Mark, und die habe ich dabei, ein vorletzter Rest vom Konstanzer Geld, und so ist auch dieser Fünfziger in Umlauf gebracht und ich in den Besitz der scheußlichsten Schreibtischlampe, die man weithin finden wird.
    Auf der Rückfahrt schweigen wir uns eine Weile an, Solveig fragt mich nicht nach meiner Meinung, und ich bin ganz froh darüber. Schließlich

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