Uferwald
eine groß aufgezogene Schutzgelderpressung hat auffliegen lassen, in einem Kasten ist ein Interview dazugestellt, das mit dem Leiter der Sonderkommission geführt worden ist, zu dem Interview gehört ein Foto, und das Foto zeigt den Graukopf, der der Schnorre rin im Zug zwei Mark gegeben hat, nur weil sie schöne Augen hatte. Ich lasse die Zeitung sinken, aber dann steht auch schon Solveig da und ist nicht käsig blass wie wir Menschen hier im Nebel und Regen, sondern strahlend und braungebrannt.
Ich sage ihr, dass sie toll aussieht, aber sie lächelt nur und sagt, das vergeht! Dann fragt sie mich, wie Weihnachten war, und ich sage, wie jedes Jahr. Und bei dir? Ach!, sagt sie, auch wie jedes Jahr. Fast.
Du gehst aber nicht jedes Jahr skifahren, frage ich, und sie antwortet, nein, nicht jedes Jahr. Und fragt, was hast du da in der Zeitung gefunden? Und ich sage, dass ich jetzt weiß, mit wem ich über Rolli-Rolf reden kann. Das interessiert sie, und ich zeige ihr den Artikel und erzähle ihr, dass ich diesen Polizisten kenne und schon mal mit ihm diskutiert habe, und plötzlich merke ich, dass sie blass wird unter der Sonnenbräune. Was hast du?, frage ich, und sie sagt, das kannst du nicht machen, das kommt doch sofort heraus, von wem du das weißt, dass die Versicherung gezahlt hat, dann ist meine Freundin dran, und ich kann der nie wieder in die Augen sehen.
Ich sage, dass ich das respektieren muss. Das muss ich wirklich. Aber mit dem Polizisten kann ich trotzdem reden. Ich brauche ihm ja nicht zu sagen, dass die Versicherung bereits gezahlt hat und dass ich das weiß. Ich kann ihn einfach um Rat fragen, sage ich, was kann man tun, wenn eine Versicherung mauert?, werde ich sagen, und vielleicht bringe ich ihn dazu, dass er ein wenig herumtelefoniert und die Dinge von sich aus in Bewegung bringt.
Aber Solveig schaut mich an, und ihre Augen sind ganz dunkel. Die Sache gefällt ihr nicht, und schließlich fragt sie mich, wann ich den Polizisten anrufen will. Das muss nicht heute sein, sage ich, ein bisschen in der Hoffnung, dass wir vielleicht am Nachmittag ins Kino gehen. Sie meint dann, ob ich nicht bis zum neuen Jahr warten könne, so dass ein paar Tage seit ihrem Gespräch mit ihrer Freundin vergangen seien. Das leuchtet mir ein, auch wird dieser Polizist zwischen den Jahren vielleicht gar nicht zu erreichen sein.
Dann muss sie auch schon wieder gehen, aber immerhin verabreden wir uns für Dienstagabend, diesmal nicht ins Theater, aber viel leicht ins Kino, mal wieder einen lustigen Neuen Deutschen Film ansehen.
Dienstag, 30. Dezember
Es war kein Neuer Deutscher Film, sondern etwas sehr viel Besseres: im »Roxy« lief »Nur die Sonne war Zeuge« mit Alain Delon als Tom Ripley. Leider ist Delon nicht Solveigs Typ, wie sie sagt, und ich glaube sogar, der ganze Film gefiel ihr nicht. Als ich ihr erzähle, dass der Film nach einem Roman von Patricia Highsmith gedreht wurde und Ripley in diesem Roman nicht nur ungeschoren bleibt, sondern in den nächsten Romanen noch jede Menge weiterer Morde begehen wird, runzelt sie die Stirn, hör auf damit! Du weißt ja nicht, wovon du redest.
Wir trinken noch ein Glas Wein vorne an der Bar des »Roxy«, aber irgendwie ist Solveig missgestimmt. Hast du den Polizisten angerufen?, fragt sie und scheint zufrieden, als ich sage, dass ich das erst nach Neujahr versuchen werde. Okay, sagt sie schließlich und will wissen, was ich an Silvester mache, und ich antworte, dass ich wohl zu Hause vorbeischauen muss, danach aber in den GlucksKasten gehen werde, weil sich unsere Clique immer an Silvester im GlucksKasten trifft, das sei seit Menschengedenken so, aber jetzt, jetzt endlich, würden wir uns wohl so verkrachen, dass Ruhe ist im Karton!
Vielleicht komm ich dazu, sagt Solveig.
Mittwoch, 31. Dezember
Silvester. Nachher werde ich ein Glas Sekt mit der alten Frau trinken. Ich werde ihr sagen, dass ich mein Studium überdenken muss. Dass ich vielleicht einen Neubeginn versuchen werde. Und dass ich mir eine eigene Wohnung suchen muss.
Danach in den GlucksKasten. Vielleicht kommt Solveig.
M echanisch blätterte Kuttler die folgenden Seiten durch, aber da kam nichts mehr. Wer hätte dort auch noch etwas eintragen sollen? Vielleicht kommt Solveig. Und Ende.
Er stand auf, ging zum Telefon, zögerte und wählte dann doch die Nummer des Diensthabenden der Nachtschicht.
Die Stimme von Kommissarin Tamar Wegenast klang freundlich, entschieden, aufmerksam.
»Stress?«,
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