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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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vielleicht schon das nächste Weihnachten mit einer Freundin zusammen sein... Mein Gott, was soll ich tun, wenn es Solveig in den Sinn kommen sollte, mich zu Hause zu besuchen?
    Erschwerend kommt hinzu, dass sie mir irgendwo in einem Antiquariat (womöglich beim Schoepflin) die Erstauflage eines Kommentars zum Bürgerlichen Gesetzbuch besorgt hat, einen Schinken aus dem Jahre 1902, mit verblassten Sütterlin-Bleistiftnotizen darin, weiß Gott, wem das gehört haben mag. Und wieder kann oder mag ich ihr nicht sagen, dass ich mit der Juristerei am Ende bin, fertig, aus die Maus! Und mit dem Studieren überhaupt.
    Samstag, 27. Dezember
    Weihnachten und die Tage danach waren grau und regnerisch, das heißt, wenn es nicht geregnet hat, lag die Stadt im Nebel. Am zweiten Feiertag rufe ich Juffy an, aber er hat keine Lust auf eine Partie Schach und ist überhaupt merkwürdig und kurz angebunden. Er war ins Heim Zuflucht gefahren und ist dort hochkant rausgeflogen, was ich sehr komisch finde, er aber überhaupt nicht, denn er hat sich offenbar ausgerechnet, das Praktikum im Frühjahr fortsetzen zu können und im Herbst dort als Assistent des Heimleiters einen Job zu bekommen. Angeblich bin jetzt ich schuld, dass sich diese »Lebensperspektive zerschlagen hat« (O-Ton Juffy, ich weiß auch nicht, wo er solche Ausdrücke her hat). Was habe ich denn angestellt?, frage ich, aber er sagt nur, das müsse ich selbst am besten wissen, bei wem alles ich intrigiert habe.
    Irgendwann gehen auch die ödesten Feiertage zu Ende, am Samstagvormittag ist die Stadt schon wieder zum Brechen voll mit Leuten, die über Weihnachten und an dem Wochenende danach offenbar nicht satt geworden sind. Im »Wichtig« sehe ich Schleicher und setze mich zu ihm, ganz unbefangen, und werde schon wieder dumm angeredet. Er habe mich nicht an den Tisch gebeten, sagt er, und ich will aufstehen, aber wenn ich schon da sei, könnte ich ihm ja mal erklären, was ich eigentlich in der Stadt über ihn herumrede? Ich antworte, dass ich ihn bei aller Wertschätzung nicht für das interessanteste Thema halte, aber dann kommt Luzie dazu, die wohl auf dem Klo gewesen ist, und fährt mich an, ob ich schon wieder Unfrieden stiften wolle? Ich antworte, dass sie gerade die Richtige sei, andere Leute das zu fragen, und sie könnten mich alle beide kreuzweise, und stehe auf, ohne irgendetwas getrunken zu haben, und gehe, aber kurz vor der Tür rempelt mich ein Kerl an, er trägt eine Joppe und Gummistiefel und riecht nach Landwirtschaft, ich gehe einen Schritt zurück, und er baut sich vor mir auf:
    »Dir hat lange keiner mehr Bescheid gesagt, weißt du das?« »Wie Sie meinen«, antworte ich höflich.
    »Wie Sie meinen!«, echot er. »Du bist nicht bloß ein einfaches Arschloch, sondern ein vornehmes?«
    In diesem Augenblick schiebt sich einer der Kellner zwischen uns, hebt begütigend beide Hände hoch und sagt: »Lass gut sein, Paulus...«
    »Das ist das Arschloch, das uns die Kundschaft aufhetzt«, sagt der Kerl und will den Kellner zur Seite schieben. Der aber bleibt stehen und gibt mir ein Zeichen, dass ich verschwinden soll.
    Eigentlich will ich mich so nicht abservieren lassen, schon gar nicht, weil Luzie und Schleicher das bestimmt alles mitbekommen haben, aber ich will mich auch nicht mit einem Krawallbruder vom Schweinemarkt prügeln.
    Ich gehe und höre noch, wie der Kerl sagt:
    »Was glaubst du, wie es dir gefällt, wenn ich hier herumlaufe und sonst was über dich und deinen Laden erzählen tu?«
    Draußen auf der Straße merke ich, dass mir schon wieder die Knie zittern. Muss ich mich dafür schämen? Aber was ist das, warum die Leute alle hohl drehen?
     
    Montag, 29. Dezember
    Im »Brettl« bin ich zunächst allein, nein, natürlich nicht, irgendwelches Jungvolk, das ich nicht mehr kenne und das offenbar zum Fest nach Hause gekommen ist, drückt sich in der Kneipe herum, tut wichtig und qualmt. Außerdem setzt sich das Elend zu mir an den Tisch und zischelt mit Luzies Stimme, dass Solveig natürlich nicht kommt, sie hat anderes im Sinn und andere vor allem, sie ist nicht deine Kragenweite, hast du das vergessen?
    Ich kralle mir das Tagblatt, es steht aber nichts drin. Was die neue Regierung alles nicht kann, will ich nicht wissen, und was geht mich Fußball an oder Schneehüpfen! Im Feuilleton läuft eine Leserbriefdebatte über »Kommen. Gehen. Schweigen« und die bescheuerte Rezension des Tagblatt-Kritikers, der Lokalteil feiert die Ulmer Polizei, weil sie

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