Uferwald
Kuttler musste genauer hinsehen, kannte er ihn? Dann fiel ihm der Mann ein, der – kaum älter als er selbst – am Morgen diesen mächtigen, in einen dunklen Anzug mit Weste eingepackten Bauch in die Trauerfeier geschleppt hatte, Czybilla, der Bilch also.
Natürlich! Der Ausflug ins Kleine Lautertal! Die Quelle war die der Kleinen Lauter, etwas unterhalb gab es ein Gasthaus, Kuttler erinnerte sich, er war einmal mit Tamar und Berndorf und dem Berndorfschen Hund dort gewesen, und in der Wirtschaft hatte der Hund unterm Tisch gelegen und zum Gotterbarmen gestunken.
Noch einmal beugte er sich über das Foto. Etwas zurückgesetzt saßen an der Einfassung noch zwei weitere Teilnehmer des Ausflugs, beide schmächtiger, unauffälliger als die anderen drei, der eine war Tilman, die andere war Isolde, Tilman machte wieder dieses Gesicht, als wolle er sagen, nun knips schon, Junge, dass wir es hinter uns haben! Und ohne einen Blick dafür, dass ihn Isolde von der Seite her ansah, mit einem kleinen fragenden Lächeln.
Ein Vibrieren in seiner Hosentasche störte ihn auf. Kuttler begriff erst nicht, dann fingerte er sein Handy heraus und meldete sich.
»Matthes«, sagte eine Stimme, die entschieden und selbstsicher klang, »ich habe Ihre Handynummer von einer Kollegin von Ihnen bekommen...«
Kuttler machte ein Geräusch, das sich nach zurückhaltender Zustimmung anhörte.
»Wir waren heute Morgen beide bei der Trauerfeier für die verstorbene Frau Gossler«, fuhr Matthes fort, »leider hat sich nicht die Gelegenheit ergeben, dass wir uns hätten bekannt machen können. Ich habe nun gehört, dass Sie noch Ermittlungen führen, und da ich ebenfalls zum Bekanntenkreis von Tilman Gossler gehört habe...«
»Ermittlungen ist zu viel gesagt«, antwortete Kuttler. »Ja, aber Sie ziehen doch Erkundigungen ein?«
Nenn es, wie du willst, dachte Kuttler. »Ich hätte natürlich auch gerne mit Ihnen gesprochen«, sagte er stattdessen. »Wo finde ich Sie?«
»Ich komme zu Ihnen, in den Neuen Bau«, kam die Antwort. »In einer Stunde, um 18 Uhr? Ich muss dann allerdings um 19 Uhr zur Eröffnung der Ausstellung im Kunsthaus sein.«
Sie würden nur ein paar Minuten brauchen, antwortete Kuttler. Als er das Handy ausschaltete, musste er grinsen. Der Herr Referent des Herrn Oberbürgermeisters wünschte nicht, dass die Polizei zu ihm kam. Er zog es vor, in den Neuen Bau zu kommen.
Ohne groß zu überlegen, steckte er das Album in die Tasche mit den Briefen und Arbeitsheften. Hatte er alles? Als er durch die Garderobe ging, fiel ihm ein Schlüsselbord ins Auge, er blieb kurz stehen, ein Schlüssel war länger und gröber als die anderen und sah aus, als werde er für das Türschloss eines Verschlags oder eines Schuppens benutzt. Ein kleines rundes Nummernschild aus Plastik hing daran, die Nummer war 4/III.
Kuttler schaute auf die Uhr. So viel Zeit hatte er noch. Er verließ die Wohnung und stieg die Treppen bis in den Keller hinunter, der in einzelne Verschläge aufgeteilt war, die sich entlang eines schlecht beleuchteten Ganges hinzogen. Es roch nach eingelagerten Kartoffeln und nach Moder, an den Verschlägen stand meist weder ein Name noch eine Nummer. Kuttler zögerte, einfach den Schlüssel der Reihe nach auszuprobieren. Schließlich blieb er vor einem Verschlag stehen, durch die Latten hindurch sah er ordentlich gestapelte Kartons, einen alten Kleiderschrank und davor ein Fahrrad.
Er probierte den Schlüssel, der Schlüssel passte und ließ sich umdrehen. Der Verschlag hatte eine eigene Beleuchtung, eine Glühbirne in einem Blechschirm, er schaltete sie ein. Das Fahrrad war ein normales Tourenrad mit einer Zwölf-Gang-Schaltung, der Rahmen silberfarben, normaler Lenker, Kuttler hielt es für ein Gerät, wie man es für dreihundert Euro im Kaufhaus bekommt. Das hintere Rad und das Schutzblech warenzusammengeknickt, das Rücklicht zersplittert, und auch das vordere Rad schien verzogen zu sein. Kuttler bückte sich und untersuchte die Beschädigungen, soweit es das trübe Licht der Glühbirne über ihm zuließ. Das Schutzblech war verschrammt und von Rost überzogen, ebenso die Felgen. Unter dem Staub waren noch die Stellen zu erkennen, die der technische Gutachter bei der Untersuchung des Rades markiert hatte.
Er überlegte kurz, dann löschte er das Licht und schloss den Verschlag wieder ab.
T amar Wegenast ging mit raschen Schritten die Galerie mit den historischen Aufnahmen Ulmer Schutzpolizisten entlang und die Treppe
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