Uferwald
das Schreiben durchaus kein Streich gewesen.«
Gebieterisch hoben sich die manikürten Hände. Luzie schwieg. »Das konnten Sie nicht wissen«, sagte der Geschäftsführer, »und wir, die Gemeinnützigen Heimstätten, auch nicht. Was wir – in unserer Eigenschaft als Vermieter – wissen konnten, war, dass die Miete regelmäßig einging, ebenso die Verwaltungskostenpauschale. Ferner konnten wir wissen, dass es über diese Frau Gossler keine Beschwerden gab. Mehr an objektiver, nachprüfbarer Information lag nicht vor, so dass es nachvollziehbar erscheint, dass die Kollegin Fudel der Eingabe nicht sofort nachgegangen ist.«
Er machte eine Pause. »Nun haben Sie nicht nur den Schreibtisch der Kollegin Fudel durchsucht, ohne dazu befugt zu sein. Sie haben überdies Ausgaben getätigt, zu denen Sie gleichfalls nicht befugt waren und die überdies den merkwürdigen und völlig unangebrachten Eindruck erwecken, wir seien der verstorbenen Frau Gossler gegenüber in irgendwelcher Weise verpflichtet oder hätten uns irgendein Versäumnis zu Schulden kommen lassen.«
Es ist genug, dachte Luzie. »Frau Fudel ist dem Brief nicht nur ›nicht sofort‹ nachgegangen«, sagte sie, und plötzlich klang ihre Stimme fest und entschieden, »sondern sie hat ihn über Wochen liegen gelassen, und weil ich befürchtet habe, dass dies bekannt wird und in der Öffentlichkeit sehr wohl als Versäumnis verstanden würde, als massives Versäumnis sogar, habe ich das Büro des Oberbürgermeisters informiert. Von dort habe ichauch die Anweisung bekommen, für eine angemessene Beisetzung der Frau Gossler Sorge zu tragen.«
Noch einmal hoben sich die beiden Hände. Dann sanken sie langsam auf die Schreibunterlage aus fleckenlosem, hellem Leder. Schweigen machte sich breit. »Sie haben...«, sagte der Geschäftsführer.
»Ja«, antwortete Luzie.
H eiter und gelassen, wie er das fast immer tat, sprach der Oberbürgermeister, diesmal von der Kunst, die in jeder ihrer Erscheinungen unverwechselbar und einzigartig sei und sich zugleich der wohlgesetzten Erklärung entziehe, weil sie das sage und bezeichne, was sich anders nicht sagen oder bezeichnen lasse.
Das heißt, dachte Andreas Matthes, so sicher ist das gar nicht, dass der Oberbürgermeister auch wirklich gesagt hatte, was er glaubte, gehört zu haben. Wenn er es genau betrachtete, war es Schaumgebäck, frisch aus dem Backofen, mit ziemlich wenig Kalorien, wie das in diesen Zeiten gefragt war, jeder konnte und durfte sich selbst zusammenreimen, wie es eigentlich gemeint war, Hauptsache, die Zuhörer hatten ein angenehmes Gefühl, wie man es eben hat, wenn heitere und gelassene Worte am Ohr vorbeischweben und das eine oder andere sich sogar einfangen lässt.
Auch das muss einer können, dachte Matthes. Du musst es können. Hör ihm zu, wie er es macht. Vergiss, was vorher war.
Aber das war nicht so leicht. Noch immer war ihm übel. Er wusste nicht genau, ob ihm vor Zorn übel war oder von der Anstrengung, kühl und gelassen zu bleiben. Egal. Er war kühl und gelassen geblieben. Trotzdem.
Das Parfüm der Rothaarigen vor ihm war unerträglich. Sie trug ein Abendkleid mit spaghetti-dünnen Trägern und war gepudert bis zu den Brüsten. Er schob sich langsam zur Seite, hinter einem Menschen in weißer Smokingjacke vorbei, nunwaren schon die Immobilienmakler kunstbeflissen in dieser Stadt. Erkannte man daran die Provinz, dass die Leute zu einer Vernissage eine weiße Smokingjacke anzogen? Ein Mann mit einem Knubbel auf der Nase notierte wie besessen in einem Notizbuch, was der Oberbürgermeister weiter an Schaumgebäck in der Menge verteilte, Matthes nickte dem Besessenen zu, morgen würde er im »Tagblatt« nachlesen können, was der OB so vermutlich doch nicht gemeint haben würde.
»Sagen Sie...« Der Professor – kugelrund, die schwarze Perücke wie immer leicht verrutscht – stellte sich Matthes in den Weg und flüsterte ihm ins Ohr: »Sagen Sie, kann ich da nicht auch noch eine Stellwand dazutun?« Der Professor war eigentlich ein Augenarzt und hatte seinen Titel von einer kalifornischen Universität verliehen bekommen, von der sonst noch niemals jemand etwas gehört hatte. Aber dafür war er doch wenigstens in den Gemeinderat gewählt worden. »Wissen Sie, da könnte ich die Zeichnungen von meinem Enkelkind ausstellen.«
Matthes zwang sich zu einem höflichen Lächeln. »Sie sollten diese Anregung dem Kustos unterbreiten«, antwortete er vorsichtig, denn der Professor war
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