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Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
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möglich gewesen wäre? In der es womöglich nahe daran war?
    »Es hat eine solche Situation gegeben«, antwortete Matthes. »Ein einziges Mal. Und es ist nichts daraus geworden. Wir hatten beide zu viel getrunken. Falls Sie mich jetzt fragen wollen, ob ich mir einen anderen Fortgang dieser Geschichte gewünscht hätte...«
    »Ja?«
    »Auch hier: definitiv nein. Es war eine Schnapsidee. Mehr nicht.«
    Tilman hat das ähnlich geschildert, dachte Kuttler und korrigierte sich sogleich. Tilman hatte eine Szene geschildert, die man auf die eine oder die andere Weise deuten konnte. Und was überhaupt heißt Schnapsidee? Der Schnaps gibt einem keine Ideen, nichts, was nicht auf irgendeine Weise schon vorhanden wäre, wie verquer oder unterdrückt oder versteckt auch immer.
    Kuttler überlegte. »Von wem«, fragte er schließlich, »war damals eigentlich die Initiative ausgegangen?«
    »Von Tilman.«
    »War es bekannt, dass Sie möglicherweise ansprechbar sein würden?«
    »Nein«, antwortete Matthes ruhig. Er sah auf seine Uhr. »Wie kommt es eigentlich... ach, das hat ja doch keine Bedeutung.«
    Kuttler beschloss, das Thema zu wechseln. »Kannten Sie Solveig Wintergerst?«
    »Ja. Nein.« Das klang nicht verwirrt. Matthes’ Stimme war noch immer kühl und geschäftsmäßig. »Ich weiß, dass Sie sich für diese Frau interessieren. Wir haben in der Clique darüber gesprochen. Sie muss einmal an unseren Tisch gekommen sein. Aber ich habe keine Erinnerung an sie. Nicht meine emotionale Wellenlänge. Dass es so ist, muss Ihnen offenbar bekannt sein. Ich frage Sie nicht, woher.«
    »Ist diese Solveig Wintergerst in der Neujahrsnacht 1999 in den GlucksKasten gekommen?«
    »Offenbar nicht.«
    »Warum hat es damals Streit gegeben?«
    »Hat es das?«
    Kuttler betrachtete den Notizblock, der aufgeschlagen vor ihm lag und in dem nichts stand. So kam er nicht weiter.
    »Wie war die Stimmung in Ihrer Clique? Harmonisch? Freundschaftlich? Oder eher zerstritten und gereizt?«
    »Genervt. Gelangweilt.« Matthes antwortete, ohne zu zögern. »Allerdings habe ich versucht, mich aus diesen Spannungen herauszuhalten. Ich hatte eine Beziehung zu einem der Mädchen gehabt, und diese Beziehung war gescheitert, aus Gründen, die in meiner eigenen Natur liegen. Ich hatte große Probleme, das zu verarbeiten und mich von der jungen Frau in einer Weise zu trennen, die für uns beide noch annehmbar war. Was sonst in der Clique ablief, war mir deshalb völlig...« – er suchte nach Worten – »es ging mir einfach am Arsch vorbei, vielleicht verstehen Sie das!«
    »Nicht ganz«, antwortete Kuttler. »Sie alle haben sich in dieser Neujahrsnacht nicht zufällig getroffen, sondern deshalb, weil irgendetwas Sie verbindet. Und wenn dann einer vonIhnen plötzlich aufsteht und geht und in der Nacht verschwindet, dann muss Sie das doch berühren.«
    »Es war nicht so, dass Tilman allein gegangen ist«, widersprach Matthes. »Die Clique war schon vorher am Ende, und in dieser Neujahrsnacht lief sie förmlich auseinander. Plötzlich war Schluss, wer irgendwo in der Kneipe einen Bekannten sah, setzte sich zu dem. Und Tilman war nicht der Einzige, der einfach ging, ich glaube, auch Isolde hat sich damals plötzlich verabschiedet, mehr oder weniger grußlos – Isolde Treutlein, vielleicht haben Sie auch schon mit ihr gesprochen.«
    »Was hat den Anlass gegeben für dieses Auseinanderlaufen?«
    »Wir waren einander überdrüssig«, kam die Antwort. »Sagte ich Ihnen das nicht? Ein Funke hat da genügt.«
    »Ein Funke«, wiederholte Kuttler. »Der entsteht aber nicht aus dem Nichts. Den muss jemand schlagen.«
    Matthes antwortete nicht. Er sah noch einmal auf die Uhr und runzelte die Stirn. »Ich glaube, ich habe da ein falsches Bild verwendet. Es war eher so, dass uns die Einsicht überfiel, wir hätten uns überhaupt nichts mehr zu sagen. Gut möglich, dass Tilman dazu den Anstoß gegeben hat, vielleicht mit einer seiner Bemerkungen oder mit einer Replik, die er sich darauf eingehandelt hat, zu allem Überfluss war er nämlich schnell beleidigt. Alles gut möglich, aber ich weiß es nicht. Irgendwann sah ich an einem anderen Tisch einen Bekannten, einen Parteifreund, der damals dem Kreisvorstand angehörte, ich setzte mich zu ihm, es war lange nach Mitternacht, aber ich glaube mich zu erinnern, dass ich an Tilman vorbeikam, der an der Theke stand. Er hatte also vor mir unseren Stammtisch verlassen, aber ich kann Ihnen nicht sagen, wann das gewesen war und warum.

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