Uferwald
Rückfenster sah man, wie der Kopf etwas aufgesetzt bekam, die Bremslichter leuchteten auf, der Benz setzte etwas zurück und bog auf die Rosenau ein.
Wanja legte den ersten Gang ein, warf noch einen Blick in den Rückspiegel, sah aber nur ein paar Fußgänger, die die Steigung herunterkamen, und fuhr los.
Einige der Fußgänger trugen Schilder, aber Wanja maß dem keine Bedeutung bei.
S ie müssen entschuldigen«, sagte Czybilla und kam auf Kuttler zu, »aber es gibt Gespräche, bei denen wissen Sie vorher einfach nicht, wie lange es dauert.«
Sie tauschten einen Händedruck. »Sie waren ja auch auf dieser Trauerfeier für die arme Frau Gossler, wir kennen uns also sozusagen bereits, und dass Sie noch Fragen haben, das hat sich auch schon herumgesprochen.«
Kuttler sah ihn ausdruckslos an. Czybilla steckte, wie schon bei der Trauerfeier, in einem dunklen Anzug, ein freundlicher dicker junger Mann mit munteren lebhaften Augen, buschigen Augenbrauen, vollen Lippen und einem Grübchen im Kinn. Kuttler nahm an, dass Czybilla mit der Blonden im Pelzmantel – wegen der er hatte warten müssen – noch allerhand weitere Gespräche würde führen müssen, wenn er es darauf anlegte. Anlagegespräche eben.
»Aber vielleicht unterhalten wir uns besser in unserem Besprechungszimmer«, fuhr Czybilla fort und wandte sich an die Brünette. »Susi, die nächste halbe Stunde bin ich nicht zu sprechen, oder sollten wir mehr Zeit einplanen?« Er blickte fragendzu Kuttler, der aber nur die Hände leicht anhob und sie wieder sinken ließ, zum Zeichen, dass eine halbe Stunde mehr als genug sei.
Hinter ihnen öffnete sich die Tür. Aus den Augenwinkeln sah Kuttler, dass die brünette Susi erstarrte. Er drehte sich um. Ein großer breitschultriger Mann hatte die Schalterhalle betreten, er trug einen dunklen Tuchmantel, und unter dem Mantel hatte er eine Maschinenpistole hervorgeholt, eine Kalaschnikow, dachte Kuttler, eine von denen mit verkürztem Kolben.
»Ganz ruhig«, sagte Brötchen. Seine Stimme klang tief und bestimmt, aber doch verschleiert. Drogen?, überlegte Kuttler.
»Beide Männer auf den Boden, Bauch unten, Hände über den Kopf.« Die Kalaschnikow richtete sich auf Susi. »Du auch. Runter!«
Kuttler, die Hände halb erhoben, kniete nieder und legte sich dann hin, wie befohlen, die Hände über dem Kopf gefaltet. Fast widerstrebend folgte Czybilla seinem Beispiel.
»Schneller«, befahl Brötchen. »Und du dort, im Kassenraum! Kein Alarm. Sonst sie tot und du auch. Alles Geld. Mach schnell!«
Die Kalaschnikow war noch immer auf Susi gerichtet. »Bitte«, sagte sie plötzlich.
»Runter!«, sagte Brötchen.
Susi knickte in den Knien ein, rutschte an der Wand nach unten und blieb schließlich auf dem Boden sitzen, mit hoch geschobenem Rock, so dass man sehen konnte, dass sie keine Strumpfhose trug, sondern einen Strumpfgürtel mit Strapsen.
Mit zwei raschen Schritten trat Brötchen zum Kassenschalter, die Maschinenpistole noch immer auf die Frau am Boden gerichtet.
Draußen fuhr ein Wagen über den Gehsteig auf den Platz vor dem Hochhaus und hielt. Es war ein Volvo.
»Alles Geld!«, befahl Brötchen. »Mach schnell!«
»Bürgerinnen und Bürger«, dröhnte Treutleins Stimme aus dem Lautsprecher und über den Platz. »Heute sind wir das Volk,und wir versammeln uns, um für die Ordnung und eine ungestörte und friedvolle Nachbarschaft in unserem Wohngebiet zu demonstrieren.«
Langsam, wie von einem unsichtbaren Seil gezogen, drehte sich Brötchen zur Tür, die Kalaschnikow im Arm. Die Tür ging auf, und Wanja kam herein, blass, die rechte Hand in der Lederjacke, als ob man so nicht sehen würde, dass er einen Revolver darin hielt.
D er kleine Platz vor dem Hochhaus hatte sich gefüllt, und auch auf der Rosenau und der in sie einmündenden Rommelfinger Landstraße drängten sich die Leute. Kinder verteilten Flugblätter, andere Kinder liefen einfach so herum, Reporter der beiden Zeitungen fotografierten, und sogar ein Kamerateam der Landesschau war eingetroffen und filmte gerade ein Paar, das stolz ein Transparent mit der Aufschrift hochhielt:
»Für ein sauberes Ulm.«
»Du glaubst es nicht«, sagte Heilbronner, »das sind über zweihundert Leute.«
»Schreib dreihundert, sonst sind sie beleidigt«, meinte Orrie. Der Streifenwagen stand halb auf dem Gehsteig der Rommelfinger Landstraße, kurz vor der Ausfahrt der Tiefgarage. Orrie und Heilbronner waren ausgestiegen, im Augenblick war nichts zu tun.
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