Uferwald
Söflingen nun einmal Sitte ist.
»So!«, sagte sie, als Tamar erklärt hatte, warum sie gekommen war. Sie überlegte kurz, dann entschied sie sich, die Besucherin doch ins Haus zu bitten. Tamar Wegenast wurde in ein Wohnzimmer mit Stilmöbeln und einem altmodischen Sekretär genötigt. »Sie sind also wegen dem Herrn Dannecker gekommen«, stellte Monika Landwehr fest. »Das wundert mich nicht. Trinken Sie einen Kaffee mit?«
Eigentlich hatte Tamar ihre Frage so nicht formuliert gehabt. Und einen Kaffee hatte sie auch schon getrunken. »Gerne«, sagte sie.
Die Frau verschwand. Tamar sah sich um. Durch ein Sprossenfenster konnte Tamar von dem Wohnzimmer aus auf den Garten und weiter in den Klosterhof blicken und hinüber zur Kirche. Der Sekretär war wohl wirklich eine Antiquität. An der Wand hing eine Galerie gerahmter Fotografien, Portraits von Großeltern und Verwandten, die selbst aus der Entfernung so aussahen, als seien sie schon ziemlich lange tot. Es roch nach Lavendel und Bienenwachs, das offenbar verwendet worden war, um die Möbel zu polieren.
Warum war sie hier? Die Antwort war sehr einfach. Weil Kriminaldirektor Hannskarl Englin nicht auf die vakante Stelle nach Friedrichshafen befördert worden war. Weil ihr KollegeMarkus Kuttler ein privates Tagebuch nicht zurückgegeben, sondern gelesen hatte. Weil eine junge Frau, Solveig Wintergerst, gewusst hatte, was sie – aller Wahrscheinlichkeit nach – nicht hatte wissen können. Und was ihr – angeblich – eben jene Monika Landwehr gesteckt hatte, die jetzt gerade Kaffee kochte.
Tamar holte den Umschlag hervor, den sie am Morgen aus Freiburg bekommen hatte, und sah sich – zum wievielten Mal? – die Fotos von Solveig Wintergerst an. Die Bilder musste ein Atelierfotograf gemacht haben, und sie sahen aus, als hätten sie für eine Bewerbung als Model oder Schauspielerin dienen sollen. Beides wäre möglich gewesen, dachte Tamar. Ein schmales, nahezu ebenmäßiges Gesicht, eine hohe glatte Stirn, ein heller Teint, von dunklem Haar eingerahmt, eine gerade Nase mit ausgeprägten Nasenflügeln – aber das erklärte alles nicht die Wirkung, die von den Fotografien ausging (oder die jedenfalls Tamar wahrzunehmen glaubte). Vielleicht waren es die großen graublauen Augen, die wachsam und fragend in eine Welt schauten, die nicht über sie würde verfügen dürfen.
Monika Landwehr kam mit einem Tablett herein und stellte es ab. Den Kaffee servierte sie in einem blauweißen Service mit Zwiebelmuster, außerdem hatte sie noch rasch ein paar Scheiben von einem Sandkuchen aufgeschnitten.
»Ich hab mir’s sogar fast gedacht, dass Sie wegen dem Dannecker gekommen sind«, erklärte sie, als sie Sahne und Zucker anbot, »wie Sie an der Tür gestanden sind, hab ich es schon gedacht.«
»Ja?« Tamar nahm etwas Sahne in den Kaffee, lehnte aber den Zucker ab.
»Dass das nicht hat gut gehen können«, fuhr die Landwehr fort, »das hätte ein Blinder sehen müssen. Wissen Sie, wenn so eine Schuldenwirtschaft eingerissen ist, da kommt keiner mehr heraus. Wenn man schon anfängt, der eigenen Sekretärin das Gehalt schuldig zu bleiben...«
»Es ist so«, sagte Tamar vorsichtig, »dass wir eigentlich jemanden suchen, der mit Herrn Dannecker zu tun hatte, eineMieterin.« Sie nahm die Fotos auf und hielt sie der Landwehr hin. »Eine Frau Solveig Wintergerst.«
Monika Landwehr nahm die Fotos und warf einen verächtlichen Blick darauf. »Was sagen Sie? Eine Mieterin?« Sie lachte kurz und unfreundlich auf.
»Wissen Sie, wer das ist? Seine Hur’ war das...«
K uttler fuhr über die Neutorbrücke und weiter am Alten Fritz vorbei, und jedes Mal, wenn der Opel über ein Schlagloch oder eine Bodenschwelle rollte, klang es, als würden die Stoßdämpfer bis zum Anschlag gefordert. Er musste diesen verdammten Kühlschrank loswerden, die ganze Zeit schon dachte er es, und was hatte er erreicht? Dass dieser Kasten ihm immer näher auf den Leib rückte und er jetzt sogar mit einem albern verschnürten Auto in der Stadt herumrumpeln musste, als sei er ein ambulanter Händler für gebrauchte Kühlschränke. Das ist es, dachte er, was von der Liebe bleibt, ach hätte ich doch...
Er fuhr die Rosenau hoch, bis zum Hochhaus, wo es für Kurzparker drei oder vier Stellplätze gab. Aber um dort zu parken, musste er aus der anderen Fahrtrichtung kommen. Er wendete auf einer Einfahrt, hinter einem dunklen Toyota, der halb auf dem Gehsteig geparkt war und in dem zwei Männer
Weitere Kostenlose Bücher