Uferwald
betreffen.«
N och immer schaffte es die Sonne nicht, durch den Hochnebel zu dringen. Trotzdem war es heller geworden, fast so, als müsste der Nebel fünfzig oder hundert Meter höher sofort aufreißen.
Harald Treutlein hatte seinen Volvo am Rand der Wiese abgestellt, die als Treffpunkt ausgemacht war, und gab die Flugblätter aus, die während der Demonstration verteilt werden sollten. Etwas unterhalb von ihm war ein Stangengerüst aufgerichtet, das die Umrisse des geplanten Obdachlosenheims wiedergab. Jeder konnte sehen, dass der First hoch genug sein würde, um den Blick von den Wohnhäusern auf die Baumreihe des Eschentobels zu verstellen.
Auf der Wiese hatten sich die ersten Gruppen zusammengefunden, in einer von ihnen sah er Marion und Thomas mit Rebecca, Johannes war bei ihnen. Thomas rollte gerade ein Transparent auf, dessen eine Stange Marion halten musste.
»Bei Ihnen gibt’s Flugblätter?«, fragte ein grauhaariger Mann, der einen dicklichen mittelgroßen Hund bei sich hatte, auch der Hund war irgendwie grau und hechelte und ließ weißgraue Reißzähne sehen. Harald kannte Herrn und Hund von Spaziergängen, obwohl er ihnen nach Möglichkeit auswich, denn Johannes hatte Angst vor Hunden.
»Geben Sie mir nur einen Packen«, fuhr der Mann fort, »ich will sie gern verteilen helfen. Das ist ja schön, dass man als Nachbarn so zusammenhält.«
Thomas hatte das Transparent aufgerollt. Es musste aus einem alten Bettlaken gefertigt worden sein, »Schüzt unsere Kinder« stand mit roter Farbe darauf, nun ja, dachte Treutlein, im Außendienst ist Orthographie nicht so wichtig, wo war eigentlich Johannes? Eben war er noch bei Rebecca gewesen. Treutlein suchte einen Packen Flugblätter zusammen, warf noch einmal einen Blick über die Wiese und sah, dass Johannes zu einem anderen Jungen hinlief, der ein Plakat umhängen hatte, vermutlich war es Kevin.
Ein Streifenwagen der Polizei näherte sich und hielt, ein uniformierter,nicht sehr groß gewachsener Beamter stieg aus und kam auf Treutlein zu, der gerade dem Grauhaarigen seinen Packen Flugblätter geben wollte. Doch in eben diesem Augenblick hatte der dickliche graue Hund den Polizisten entdeckt und seinen Herrn zur Seite gerissen und zerrte mit wütendem Gekläff an der Leine, dass er sich dabei schier selbst in seinem Halsband erwürgte.
»Entschuldigen Sie«, rief der Mann und holte mit einiger Mühe die Leine ein, »aber er ist sonst wirklich lammfromm, er kann nur keine Uniformen leiden und auch keine Briefträger.«
»Schon gut«, sagte der Polizist, »aber geben Sie Obacht, dass Sie keinem vom Städtischen Ordnungsamt begegnen, falls er die Leute dort auch nicht leiden kann.« Er machte einen Bogen um Mann und Hund und gelangte so zu Treutlein, der noch immer den Packen Flugblätter in der Hand hielt.
»Leissle«, stellte sich der Beamte vor, »Sie sind der Verantwortliche hier?«
»Weiß ich nicht«, antwortete Treutlein. »Das ist eine Aktion von Bürgern, von freien Bürgern, das soll es auch geben.«
»Aber es hat doch irgendwer die Demonstration angemeldet? Ein Herr Treutlein angeblich...«
Ja, sagte Treutlein, das sei er, und der Polizist erklärte, dass er sich darum kümmern werde, dass der Demonstrationszug abgesichert sei.
»Wann brechen Sie denn auf? Wir sperren vorher die Rosenau, dann kann nichts passieren.«
»Eigentlich jetzt«, antwortete Treutlein und sah sich um. Es sind richtig Leute gekommen, dachte er, auf der Wiese und auch auf der Straße standen sie in dichten Gruppen, viele Kinder dabei, irgendwo sah er auch den hellen Anorak von Isolde, dabei hatte sie keine Lust gehabt, warum eigentlich nicht? Aber jetzt war sie doch da und hatte Mona mitgebracht. Johannes – Treutlein hatte es sich angewöhnt, seinen Sohn nie ganz aus den Augenwinkeln zu verlieren – Johannes rannte gerade vor Kevin davon, was war das nun wieder? Dann stolperte Kevinüber das Plakatschild, das er um den Hals trug, und stürzte und schrie gellend, das ist typisch, dachte Treutlein, ganz bestimmt hat er sich die Stirn aufgeschlagen, immer war es Kevin, dem so etwas passierte, in der Hälfte aller Fälle, in denen ein Kind aus dem Freien Kindergarten in die Ambulanz musste, ging es um Kevin.
M onika Landwehr wohnte in einem denkmalgeschützten Häuschen im Söflinger Klosterhof, war nicht mehr berufstätig, sondern pflegte ihre bettlägerige Mutter. Sie war eine säbelbeinige Blonde und empfing Tamar so kurz angebunden, wie es im Stadtteil
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