Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Uferwald

Titel: Uferwald Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrich Ritzel
Vom Netzwerk:
kippt das ganze Gefüge... A broken window , sagen dieAmerikaner, eine einzige eingeworfene Fensterscheibe, die nicht erneuert wird, kann schon genügen, Verwahrlosung ist ein hoch ansteckender Bazillus.«
    »Irre ich mich«, sagte der alte schläfrige Kater, »oder war im Bebauungsplan für das Eschental nicht von Anfang an der Standort für das Heim Zuflucht vorgesehen? Und hatten wir nicht eben deshalb die Bauplätze günstiger abgegeben, als es das Liegenschaftsamt eigentlich tun wollte? Ich erinnere mich da an einen recht nachdrücklich geführten Meinungsaustausch, und zwar in Ihrem Beisein.«
    »Sicher«, sagte der Baudezernent und entschloss sich, die Hosenklammer wieder in der Tiefe seiner Jackentasche zu versenken. »Aber seither haben wir leider lernen müssen, wie empfindlich das soziale Gefüge gerade in neuen Wohngebieten ist. Denken Sie doch nur an den Buchenbronn! Was haben wir uns da nicht alles erhofft, und was ist daraus geworden, als die ersten Sozialhilfeempfänger eingewiesen wurden.«
    Der Oberbürgermeister blickte zu Matthes. »Hören Sie das? Die Architekten machen nie einen Fehler. Die Stadtplaner auch nicht. Auf dem Papier stimmt alles. Ist ja auch alles mit dem Zirkel und dem Lineal gemacht. Bloß die Menschen, die machen Sie nicht mit Zirkel und Lineal... das heißt...« Er sah Matthes mit einem Gesichtsausdruck an, den dieser selbst nicht so recht deuten konnte.
    In diesem Augenblick schlug das Telefon an. Matthes stand auf und ging zum Schreibtisch und meldete sich.
    »Es ist der alte Amtsgerichtsdirektor Gnadenhauff«, sagte die Sekretärin, »er besteht darauf, den Chef zu sprechen.«
    Matthes brachte das Telefon an den Besprechungstisch. Noch immer war er fasziniert davon, wie rasch sich Stimme und Ausstrahlung des Oberbürgermeisters verändern konnten. Gerade noch schien er im Begriff gewesen zu sein, den Baudezernenten in aller Freundlichkeit in seine Bestandteile zu zerlegen, jetzt meldete sich am Telefon der aufmerksame, höfliche Rechtsanwalt, den der Oberbürgermeister in einem früheren Leben gegebenhatte und dem damals nichts ferner gelegen hatte als eine knallhart geführte Auseinandersetzung mit Gericht oder Staatsanwaltschaft.
    Allerdings musste er nicht viel sagen, denn dies wurde am anderen Ende der Leitung ausgiebig besorgt. Ohne dass er den Wortlaut im Einzelnen verstanden hätte, drang die klagende Stimme des pensionierten Amtsgerichtsdirektors bis zu Matthes.
    »Ja, lieber Herr Gnadenhauff«, sagte der Oberbürgermeister nach einer Weile, »das tut mir aufrichtig Leid, und ich darf Ihnen versichern, dass die Stadt den Trägerverein nicht im Regen stehen lässt. Aber es müssen jetzt natürlich die Karten neu gemischt werden.« Dann dankte er für den Anruf und bat, ihn der verehrten Gemahlin des Anrufers zu empfehlen, und hatte bei all dem den aufrichtig besorgten, Anteil nehmenden Gesichtsausdruck, von dem Matthes nun überhaupt nicht wusste, was er in Wirklichkeit bedeutete.
    »So«, sagte der Oberbürgermeister, als er schließlich auflegen konnte, »wo waren wir stehen geblieben? Ach ja, das Heim Zuflucht... Also es kommt überhaupt nicht in Frage, dass wir unsere Entscheidungen in irgendeiner Weise von dieser Demonstration beeinflussen lassen. Das muss ganz klar sein.« Er warf einen nachdrücklichen Blick auf den Baudezernenten und dann, wie zur Bekräftigung, auch auf Matthes. »Überhaupt dieser Herr Krautlein oder Kreutlein oder wie er heißt, erst ist er hinter einem billigen Bauplatz her wie die Gans hinterm Apfelbutzen, und jetzt jammert er, dass am Apfelbutzen ein Stiel dran ist... aber unbeschadet davon werden wir die Planung und insbesondere auch den Standort des Heimes noch einmal überprüfen, und zwar im Einvernehmen mit dem Trägerverein.«
    Er könne dem Oberbürgermeister leider nicht ganz folgen, sagte der Baudezernent. »Überprüfen in welcher Richtung?«
    »Der Trägerverein ist pleite«, sagte der Oberbürgermeister fröhlich. »Ruiniert. Futsch. Mein alter Berufskollege Dannecker hat die ganze Kohle verwirtschaftet oder wahrscheinlich sogarunterschlagen. Wenn ich es richtig sehe, gibt es jetzt nur noch einen Ausweg.« Wieder sah er zum Baudezernenten. »Wir müssen den Bebauungsplan Eschental so ändern, dass der Trägerverein sein Grundstück als ganz normales Bauland verkaufen kann. Sonst kommen die überhaupt nicht mehr auf die Beine. Und dann schauen wir, ob wir irgendwo in einem Gewerbegebiet eine Ecke übrig haben, oder wir

Weitere Kostenlose Bücher