Uferwald
schreiben dem Landeswohlfahrtsverband, ob die nicht im Alb-Donau-Kreis einen Standort wüssten.« Er schüttelte den Kopf. »Man kennt die Leute eben nicht wirklich. Ich hätte geschworen, der Dannecker, dieses Tränentier, sei für so etwas viel zu dusslig.«
D er Vormittag war anstrengend gewesen, noch anstrengender als sonst, denn es war Montag, und montags brach sich in der Schule die geballte, am Wochenende angesammelte Aggressivität Bahn, chaotisch, schreiend, kreischend. Anstrengend ist gar kein Wort dafür, dachte Isolde, aber für diesen Tag ist es vorbei. Sie hatte ein Aspirin genommen und lag jetzt auf der Couch im Wintergarten, ein rot-blaues Plaid über ihre Beine gezogen.
Harald brachte ihr den Kaffee. »Hast du die Zeitung gelesen?« Sie lag neben der Couch auf dem Boden.
»Verschon mich damit.«
»Da ist ein interessanter Bericht drin über den Banküberfall im Hochhaus«, redete Harald ungerührt weiter. »Diese beiden Typen sind nur aus der Bank rausgekommen, weil ein Polizist ihnen seinen Wagen gegeben hat. Toll, was? Die wären sonst eingekeilt gewesen von uns.«
»Und dann«, sagte Isolde, »dann hätte es eine Schießerei gegeben, und wir und die Kinder mittendrin. Wirklich toll.«
»So hab ich das nicht gemeint«, sagte Harald. »Ich will auf was anderes raus. Das war ein Polizist in Zivil, steht in der Zeitung, und ich denke... hörst du mir eigentlich zu?«
»Ein Polizist in Zivil«, echote Isolde. »Und weil er in der Bankwar, in der der Bilch die Leute abkassiert, wollte er vermutlich zu ihm und war also dieser Mensch, der auch bei uns war.«
Draußen im Flur klingelte das Telefon, und Harald beeilte sich, vor seinen Kindern am Apparat zu sein. Isolde nahm einen Schluck Kaffee. Dann ließ sie sich auf das Kissen sinken und schloss die Augen. Bitte, lieber Gott, jetzt nichts von der Schule. Keinen weiteren kranken Kollegen, der vertreten werden muss. Und, vor allem, keine Erziehungsberechtigten von Kevin, Tania, Dennis oder wem auch immer.
Harald kehrte in den Wintergarten zurück.
Nein, dachte Isolde.
»Da ist der Bilch«, sagte er mit ratloser, ein wenig ärgerlicher Stimme. »Er will partout dich sprechen.«
Es hat keinen Sinn, sich etwas auszudenken, dachte Isolde. Immer kommt es noch schlimmer. Sie richtete sich auf und ließ sich das tragbare Telefon geben.
»Ja?«
»Können wir reden?«, fragte Czybilla.
»Bitte.«
»Ich meine, ohne dass dein Mann zuhört?«
»Warum soll der das nicht können?« Sie nickte Harald zu, der neben ihr stand. Wie bestellt und nicht abgeholt, dachte sie.
»Dann soll es mir auch egal sein«, sagte Czybilla. »Ich habe vorhin diesen Polizisten Kuttler im Krankenhaus besucht – du weißt schon, der auch im Krematorium dabei war. Als der Überfall passiert ist, war der gerade bei mir.«
»Das wissen wir.«
»Na schön«, kam es aus dem Hörer. »Aber was du vielleicht nicht weißt – er hat mich nach Sachen gefragt, von denen er eigentlich gar nichts wissen kann. Es sei denn, jemand hat ihm diese ollen Kamellen gesteckt, als ob sie irgendetwas zu bedeuten hätten. Ich frage mich...«
Im Kinderzimmer schrillte Geschrei auf und drang durchs ganze Haus. Isolde blickte zu Harald, und der wandte sich zögernd ab, fast widerstrebend, und ging zum Kinderzimmer.
»Was hast du gerade gesagt?«
»Ich frage mich«, wiederholte Czybilla, »ob vielleicht du ihm diesen Dreck erzählt hast?«
»Welchen Dreck, mein Lieber?«
»Von dem, was im Lautertal war«, sagte Czybilla. »Als plötzlich der Tilman daneben stand.«
»Ach das!«, sagte Isolde. »Von dem, was im Lautertal war... wie vornehm du dich plötzlich ausdrücken kannst! Aber es tut mir Leid. Von mir hat das dieser Kuttler nicht. Als er bei uns war, wusste er schon davon. Ich dachte erst, er hätte es von dir... aber das war natürlich ziemlich dumm gedacht. Das ist ja eine Geschichte, die du niemandem gern erzählen wirst, nicht wahr? So viel Schamgefühl müsstest sogar du noch haben...«
Sie drückte auf die Aus-Taste und legte das Telefon auf den Boden, neben die Zeitung. Im Kinderzimmer war das Geschrei abgeklungen. Sie streckte sich auf der Couch aus und zog das Plaid hoch bis zum Kinn und drehte sich zur Seite, der Rückenlehne zu.
Wieder erschien Harald in der Tür. »Was hat der denn gewollt?«
Er bekam keine Antwort.
Eine Weile noch betrachtete Harald Treutlein seine Frau oder vielmehr das Plaid, in dem sie eingewickelt war, dann zuckte er mit den Schultern und wandte
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