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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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ist es so.«
    »Sag, dass das nicht wahr ist!«
    »Sieh dir das Foto genau an. Er ist tot.«
    Während er das Bild studierte, mahlte er unablässig mit dem Kiefer.
    »Nein«, flüsterte er nach einer Weile. »Bitte nicht.« Sein Gesicht war plötzlich aschfahl, seine Lippen zitterten.
    »Aber … Fuck! « Er umklammerte mit beiden Händen seinen Kopf und entfernte sich ein paar Schritte, bevor er abrupt umkehrte. Sein Blick war verzweifelt.
    » Fuck, fuck, fuck! « Der Bursche trat mehrmals heftig gegen die Hauswand.
    »Ein Spaziergänger hat ihn in einem Waldstück bei Zumikon gefunden. Irgendjemand hat den Jungen übel zugerichtet.«
    »Wer hat das getan?«, schrie der Brasilianer.
    »Das versuche ich herauszufinden«, erwiderte ich und wartete ab, bis er sich etwas beruhigt hatte, bevor ich meine nächste Frage stellte: »Wann hast du ihn zuletzt gesehen?«
    Mit unglücklicher Miene ließ sich der junge Mann gegen die Hausmauer fallen und überlegte. »Ich … ich weiß es nicht. Ich war gerade eine Woche in München.« Er fuhr sich mit der Hand übers Gesicht. »Ein Job, verstehst du. Vor meiner Abreise haben wir uns getroffen.«
    »Also letzten Freitag?«
    Er wiegte den Kopf. »Ja, ungefähr.«
    »Ihr habt euch häufig gesehen?«
    »Täglich, wenn es ging.«
    »Täglich?«, hakte ich nach.
    Der Brasilianer nickte. »Er ist … war mein Nachbar«, bemerkte er leise, während ihm die ersten Tränen übers Gesicht liefen.
    Das Apartmenthaus lag nur drei Gehminuten entfernt an der Spitalgasse, einem schmalen Sträßchen mit Kopfsteinpflaster in der Altstadt, das von schicken Bars, Restaurants und Kleiderläden gesäumt wurde.
    Ich folgte Luiz, wie sich der Brasilianer vorgestellt hatte, in einen düsteren Hauseingang und stieg dann hinter ihm die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Der Boden des Korridors war mit hellgrauem Linoleum bedeckt, das sich an den Rändern wellte und im Licht der Neonröhren speckig glänzte. Rund ein Dutzend Apartments waren auf diesem Stockwerk untergebracht. Die erste Tür stand halb offen und gab den Blick frei auf eine winzige Dusche und eine wenig vertrauenswürdige Toilette.
    »Hier, mein Zimmer«, murmelte Luiz und kramte einen Schlüssel hervor. »Und da wohnt Said.«
    Endlich wusste ich den Namen des Toten: Said.
    Ehe ich weitere Fragen stellen konnte, bedeutete mir Luiz, dass ich hier warten solle, und verschwand in seinem Zimmer.
    Unschlüssig blieb ich stehen und überprüfte dann aus reiner Gewohnheit, ob die Tür zu Saids Apartment verschlossen war, indem ich die Klinke hinunterdrückte. Natürlich war sie das, worauf ich erneut meinen Ausweis hervorholte, eine kreditkartengroße Plastikkarte, diese in den Spalt zwischen Tür und Wand steckte und sie vorsichtig hin und her bewegte. In den Filmen funktionierte das immer auf Anhieb, doch dieses Schloss rührte sich keinen Millimeter.
    Ich kniete mich hin und versuchte es erneut, erreichte jedoch nur, dass meine Karte plötzlich festklemmte und bei meinen Versuchen, sie rauszukriegen, zu zerbrechen drohte.
    Luiz war wieder auf den Flur hinausgetreten und sah mir einen Moment lang zu, dann hörte ich ihn leise lachen.
    »›Privatdetektiv‹, hast du gesagt?«
    Ich nickte verbissen, während er mich bestimmt beiseiteschob, einen Schlüssel ins Schloss steckte und ihn umdrehte. Die Tür schwang auf und mit einem Klacken fiel meine Karte zu Boden.
    »Wie waren Freunde«, erklärte Luiz und trat beiseite, damit ich einen Blick in die Unterkunft werfen konnte. Der Raum war winzig und bot gerade genügend Platz für ein schmales Bett sowie eine Kochnische mit zwei Platten und einem Kühlschrank in der Größe einer Zigarettenschachtel im Gang.
    »Wo hast du gesagt, wurde er aufgefunden?« Luiz klang bedrückt, während er über die weiße Bettdecke strich, die zerknüllt über dem Fußende der Schlafstätte lag.
    Ich erläuterte es ihm erneut und sofort schüttelte er den Kopf. »Da wäre er nie allein hingegangen. Er war noch nicht so lange dabei und kannte sich hier nicht aus.«
    »Wo dabei?«
    Luiz deutete auf das benutzte Bett, zum Nachttisch, auf dem eine arabisch anmutende Schale stand, die mit Kondomen gefüllt war. Said hatte hier also als Stricher gearbeitet. Hatte auch Kurt Binggeli, der mich vorhin in Balthasars Bar so wütend abgewiesen hatte, zu seiner Kundschaft gehört? Seine heftige Reaktion auf meine Frage ließ ganz darauf schließen.
    »Er war doch noch so jung. So unschuldig.« Luiz starrte gedankenverloren auf
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