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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel
Autoren: S Mann
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Hocker vor der Theke besetzten oder an der Wand vor den Toiletten lehnten.
    Der Schlagersänger Roland Kaiser bediente derweil schlüpfrige Rentnerfantasien mit Schwärmereien von der Insel Santa Maria, wo ihm seine Sinne abhanden gekommen waren, als er die Jugend von irgendwem in den Händen gehalten hatte. Ich verdrängte die aufkommenden Bilder. Pures Glück, dass man in den Achtzigern noch nicht von jedem Hit ein Musikvideo produziert hatte.
    Die laut aufgedrehte Musik lenkte jedoch effektvoll davon ab, dass so gut wie keine Gespräche geführt wurden. In zwei scheinbar feindliche Lager aufgespalten, saßen sich Freier und Stricher gegenüber, ihre Blicke kreuzten sich berechnend in der Luft. Und ich befand mich mitten im Schussfeld.
    Erst jetzt bemerkte ich, dass sich auf der Fensterbank gleich neben dem Eingang weitere junge Männer drängten. Brasilianer, ihre Hautfarbe und der melodiöse Singsang ihrer Sprache verrieten sie, wenn sie sich verstohlen austauschten. Im Gegensatz zum Rest der Bar wurde hier sogar gelacht, wenn auch nur verhalten.
    Ich stellte mich an die Theke und sah irritiert dem Kellner zu, der sich offenbar auf einem Laufsteg glaubte, derart schwungvoll schwenkte er seine Hüften beim Herumtigern hinter der Bar. Ich hätte Mirandas Handtasche darauf verwettet, dass er sich dabei in Gedanken von Heidi Klums Quäkstimme anspornen ließ.
    Der ältere Mann, der in meiner Nähe am Tresen saß und bislang trübsinnig in seinen cremigen Likör gestarrt hatte, hob plötzlich den Kopf und musterte mich unverhohlen. Ich wich seinem Blick aus, doch aus dem Augenwinkel sah ich, wie er eine Brieftasche aufklappte, um mit seinen dicken, mit üppigen Ringen geschmückten Fingern immer wieder über das beachtliche Notenbündel zu streichen, das gut sichtbar darin steckte.
    Ich winkte den Kellner heran, der wie ich eine viel zu enge Hose trug und ein Hemd mit psychedelischen Mustern. Um den Hals hatte er sich einen Foulard gelegt, der bei jedem Schritt luftig mitwippte. Die mit Puder und Make-up zugekleisterte Gesichtshaut war glatt und porenfrei, die Schweißperlen am Haaransatz und die mit Kajal umrandeten Augen ließen ihn aussehen wie einen Theaterschauspieler nach einer kräftezehrenden Vorstellung. Offensichtlich hatte sich Miranda geirrt – es gab tatsächlich noch Männer, die freiwillig so herumliefen, wenn auch nur in abgehalfterten Bars.
    Ich dachte, er würde sich freuen, jemanden anzutreffen, der ähnlich geschmacklos gekleidet war wie er. Doch anstatt quiekende Freudenschreie auszustoßen, musterte er mich herablassend, das Kinn in der einen Hand aufgestützt, den kleinen Finger an der Unterlippe. Die andere Hand lag auf der Hüfte, der Arm war abgewinkelt: die beliebte Haltung ›Teekanne‹, das wusste ich noch von Mirandas Schulung vorhin.
    Ich bestellte ein Bier, ein kleines, ich würde nur kurz bleiben. Wie kurz, erfuhr ich erst, als ich dem Kellner, der mir irgendeine wässrige Plörre zapfte, das Foto des Toten vorlegte.
    »Kennst du den?«
    »Bist du von der Fremdenpolizei?«, fragte er, ohne das Bild zu beachten.
    Ich konnte sein Misstrauen nachvollziehen: Ein spontaner Besuch der Fremdenpolizei käme dem Eindringen eines Fuchses in den Hühnerstall gleich. Diese Etablissements lebten von der Diskretion, und von der besser betuchten Klientel wurden weder Identitätskontrollen geschätzt noch wenn man ihnen die illegal im Land verweilenden Lustobjekte vor der Nase abtransportierte.
    Ich verneinte und lächelte beruhigend.
    »Was dann?«
    »Privatdetektiv.«
    Seine glossschimmernden Lippen kräuselten sich und er schnippte mit den Fingern. Ehe ich mich versah, kam aus dem hinteren Barbereich ein Schrank von einem Mann angewalzt, den ich bislang nicht bemerkt hatte, packte grob meinen Arm und schleifte mich die Treppe hinunter.
    Unsanft landete ich auf dem Gehsteig, während sich der schwarz gekleidete Türsteher mit verschränkten Armen vor dem Eingang aufbaute. Auch wenn ich im Gymnasium keine guten Noten in Wahrscheinlichkeitsrechung nach Hause gebracht hatte, war mir sofort klar, dass ich nicht an ihm vorbeikommen würde. Rein körperlich gesehen, war ich vehement benachteiligt. Und mit meiner lächerlichen Louis-Vuitton-Tasche konnte ich gegen den Muskelberg auch nicht viel ausrichten.
    Mein Drang, wieder reinzugehen, war ohnehin gering – wäre da nicht das Foto gewesen, das ich bei meinem etwas überstürzten Abgang auf der Theke hatte liegen lassen. Ohne das Bild würde ich mit
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