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Uferwechsel

Uferwechsel

Titel: Uferwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Mann
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ermutigte mich das Wissen, dass da noch jemand war.
    »Entschuldigen Sie, dass ich so unangemeldet herkomme, es ist nur, dass ein Freund von Kevin …«, startete ich einen neuen Versuch, mit dieser Frau ins Gespräch zu kommen.
    »Kevin hatte keine Freunde«, fiel sie mir hart ins Wort, in ihrem Ton lag eine derartige Strenge, dass ich mir gemaßregelt vorkam.
    »Nun, ein Bekannter in dem Fall. Er ist heute Nacht umgekommen.«
    Ungerührt starrte sie mich an. »Was hat das mit Kevin zu tun?«
    Ich hatte plötzlich einen trockenen Mund. »Wie ich erfahren habe, wollte sich Kevin verändern. Sein Leben umkrempeln … Sein Bekannter hatte dasselbe vor.«
    »Und?«
    »Er ist tot. Beide sind tot.«
    »Ja.«
    Die Kaltschnäuzigkeit dieser Frau irritierte mich. »Ich habe gehofft, Sie könnten mir sagen, was es mit diesem Plan auf sich hatte.«
    »Nein.«
    Es war, als würde ich mit jeder Frage gegen eine Wand laufen. Eine eiskalte Stahlbetonwand.
    »Wer ist denn da?« Der Mann stand ganz unvermittelt hinter Frau Steiner, ich hatte ihn nicht kommen hören. Er musterte mich verwundert, doch immerhin öffnete er die Tür ganz.
    »Aber Rebekka, lass den jungen Mann doch rein!« Herr Steiner hatte ein schwammiges Gesicht, dessen fleckig gerötete Haut auf regelmäßigen und nicht zu knappen Alkoholkonsum hinwies, sein Haar war rotblond und hätte sich wohl gelockt, wäre es nicht so kurz geschnitten gewesen, an den Schläfen war es bereits ergraut. Zu ausgebeulten Manchesterhosen trug er einen dunklen Pullover mit V-Ausschnitt, darunter ein weißes T-Shirt.
    Rasch trat ich ein und streckte ihm die Hand entgegen, während Frau Steiner zurückwich, ihrem Mann einen eisigen Blick zuwarf und dann kopfschüttelnd ins Wohnzimmer vorauseilte, wo sie den Fernseher ausschaltete. Skispringen, wie ich gerade noch erkannte, bevor der Bildschirm dunkel wurde.
    »Wintersport, jetzt ist ja die Zeit dazu, nicht wahr?« Steiner war meinem Blick gefolgt. Er lachte ein wenig zu laut und rieb sich die Hände, dann sah er mich fragend an.
    Ich erklärte ihm, wer ich war und weshalb ich hergekommen war, und seine Miene gefror.
    »Ach, wegen Kevin sind Sie hier.« Er rieb sich weiterhin die Hände, jetzt wirkte es noch mechanischer als zuvor.
    »Du musstest ihn ja reinlassen«, zischte seine Frau giftig, die sich an ihm vorbeidrängte, um in der Küche zu verschwinden.
    Herr Steiner lächelte entschuldigend. »Worum geht es?«
    Ich wiederholte, was ich vorhin schon seine Frau gefragt hatte, und sein Blick verriet noch mehr Irritation.
    »Das sagt mir nichts.«
    Nach kurzem Abwägen deutete er mit einer entschlossenen Geste zum Wohnzimmer. »Aber ein Kaffee schadet sicher nicht«, sagte er. »Dabei können Sie uns alles genau erklären.«
    Aufatmend stimmte ich zu, während Herr Steiner nach seiner Frau rief und sie bat, Wasser aufzusetzen. Ihre Antwort konnte ich nicht verstehen, doch sie klang wenig begeistert. Immerhin hatte ich es bis in die Wohnung geschafft. Jetzt galt es, behutsam vorzugehen.
    »Wir kriegen kaum noch Besuch, seit das mit Kevin geschehen ist«, flüsterte Herr Steiner halb laut, sobald wir am Wohnzimmertisch saßen. Wohl damit ihn seine Frau nicht hören konnte, die dem Scheppern nach in der Küche Tassen und Unterteller bereitstellte.
    »Darf ich fragen, weshalb er …«
    Steiner senkte seine Stimme zu einem Wispern. »Wir wissen es nicht. Das macht es ja so schwer. Gerade für meine Frau. Sie hat ihn gefunden, oben im Dachstock.«
    »Er hat keinen Abschiedsbrief hinterlassen?«
    »Kevin war immer ein verschlossener Junge gewesen. Für uns ergibt das alles keinen Sinn. Es ist …«
    Seine Frau trat mit einem Tablett aus der Küche und er brach den Satz ab. Mit harschen Bewegungen verteilte sie das altmodisch wirkende Porzellangeschirr auf dem Tisch. Danach schenkte sie Kaffee ein und deutete stumm auf das Krüglein mit Milch und die Zuckerdose, die sie zusammen mit einem Teller trocken aussehender Kekse in die Mitte des Tisches gerückt hatte.
    Sie setzte sich und sah mich missbilligend an. Ihr Mann fühlte sich sichtlich unwohl, er kratzte sich umständlich im Nacken, dann legte er beide Hände um seine Tasse und starrte stumm hinein. Während ich krampfhaft nach einem geeigneten Gesprächseinstieg suchte, sah ich mich unauffällig im Wohnzimmer um.
    Obwohl der Raum nicht gerade klein war, wirkte er beengend. Was nicht allein an der niedrigen Decke und der olivgrünen Tapete lag, sondern auch an den Möbeln, die ausnahmslos

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