Uferwechsel
aus dunklem Holz gefertigt waren und viel zu dicht beieinanderstanden. Selbst die Pflanzen wirkten düster, ein dunkelgrüner Gummibaum in einer Ecke und Sukkulenten mit ledrigen Blättern auf dem Fenstersims. Über dem Durchgang zur Diele hing ein nüchternes Kreuz aus glattem Holz und die Fenster waren hinter Gardinen verborgen, die nur ein gedämpftes Licht hereinließen.
Suchend ließ ich meinen Blick erneut durch den Raum schweifen, ohne zu entdecken, worauf ich insgeheim gehofft hatte: ein Foto von Kevin. Doch es war, als hätten Steiners versucht, sein Andenken zu löschen, indem sie jegliche Bilder von ihm aus ihrem Leben verbannt hatten. Den mitgenommenen Gesichtern nach war ihnen das nicht ansatzweise gelungen.
Ich nippte an meinem Kaffee, er schmeckte bitter. »Es ist nur eine vage Vermutung, doch ich habe das Gefühl, dass Kevins Tod mit demjenigen seines Freundes … Bekannten zusammenhängen könnte.«
»Wie meinen Sie das?«, erkundigte sich Kevins Vater. Er stieß den Satz mühsam hervor, als lastete ein schweres Gewicht auf seiner Brust.
»Beide hatten vor, sich zu verändern. Das muss eine ganz wichtige Entscheidung im Leben der jungen Männer gewesen sein, denn gerade Nils, Kevins Bekannter, hat allen davon erzählt. Er war voller Vorfreude. Doch noch ehe es dazu kam, ist er von einer Brücke gesprungen.« Ich machte eine kurze Pause. »Hat Kevin mit Ihnen über diesen anstehenden Einschnitt geredet?«
»Nicht, dass ich wüsste.« Steiner strich sich mit den Händen über die Nasenflügel. Seine Gattin hatte sich nicht gerührt, es schien, als wäre sie in Gedanken weit weg.
»Wie gesagt, Kevin war ein verschlossener Junge.« Steiner warf seiner Frau einen merkwürdigen Blick zu, den ich nicht zu deuten vermochte. »Nach dem Studium wollte er jedenfalls für ein Austauschjahr nach Amerika …«
»Wollte er nicht!«, fiel ihm seine Frau ins Wort, ohne aufzublicken.
»Aber mir hat er das erzählt!«
»Er hat sich anders entschieden.«
»Das wusste ich gar nicht …«
»Du warst ja auch nie da!«, zischte Frau Steiner. »Der Junge hätte einen Vater gebraucht, ein Vorbild, aber du …«
»Die Arbeit in der Kirche hat mich davon abgehalten, das weißt du genau. Ich wäre ja gern häufiger zu Hause gewesen, aber die Gemeinschaft hat das anders gesehen«, verteidigte sich Steiner matt, so als rechtfertigte er sich nicht zum ersten Mal gegen diesen Vorwurf.
»Flugblätter musste ich verteilen und neue Mitglieder anwerben«, wandte sich Steiner in bitterem Ton an mich. »Manchmal bis spätnachts. Je mehr Neueintritte man reinholte, desto anspruchsvoller wurden die Aufgaben und desto höher stieg man in der Gemeinschaft. Und Rebekka wollte nach ganz oben, in den Olymp. Nicht wahr, Rebekka?«
»Die Kirche hat nichts damit zu tun!«
»Sagst ausgerechnet du!« Steiner richtete sich auf, mit einem Mal aufgebracht. »Bei dir hat die Kirche doch mit allem zu tun! Dein ganzes Dasein ist auf diese verdammte Organisation ausgerichtet! Du warst ja zu Beginn so begeistert und gingst in der Gemeinschaft auf. Hast vom Halt geschwärmt, den du immer gesucht hättest. Den Glauben, den dir niemand mehr nehmen konnte! Bevor du begonnen hast, alles so wahnsinnig ernst zu nehmen, und dir darüber die Freude abhandengekommen ist. Du warst zu streng! Zu unserem Sohn, zu mir und zu dir selbst sowieso. Jetzt ist er tot und wir leben in dieser verdammten … verdammten …« Er sah sich suchend um, als müsste das fehlende Wort in Großbuchstaben hingesprayt auf einem der Möbelstücke stehen. Schließlich gab er auf, seine Stimme senkte sich zu einem Flüstern: »Und das alles im Namen Gottes!«
»Lass Seinen Namen aus dem Spiel!«, fuhr ihn seine Frau an.
»Den Teufel werde ich!«
»Isaak, nicht!« Frau Steiners gequälter Aufschrei ging mir durch Mark und Bein.
»So ist es doch! Die Kirche verbietet dies, die Kirche verbietet das, alles ist kontrolliert und vorbestimmt, bis ins kleinste Detail. Wie man leben soll, was man tragen darf, wen man liebt und wen nicht, selbst wie ich dich anfassen muss, schreiben sie vor!« Er war wieder laut geworden. »Die Hölle ist hier, Rebekka, die Hölle ist unser Leben, und du tust, als würdest du es nicht bemerken!«
»Du versündigst dich, Isaak!«
»Und wenn schon! Wie’s den Leuten dabei geht, ist der Kirche und der Gemeinschaft doch scheißegal. Hauptsache, die Spenden kommen regelmäßig rein. Und jetzt ist unser Sohn tot und was tut sie, deine Kirche?
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