Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Ein Nichts. Ein Mensch, der morgens aufwachte und nicht mehr wusste, wofür er das eigentlich tat.
Meine täglichen Rationen wurden immer heftiger. Bier und Wein trank ich nur noch, um meinen Körper in Gang zu bringen. Abends zog ich mir jetzt die harten Sachen rein. Underberg wurde zu meinem zweiten Vornamen. Mit dem Schnaps veränderte sich mein Wesen immer drastischer. Ständig war ich gereizt, misstrauisch und aggressiv. Es brauchte nur einen falschen Blick, eine falsche Jacke, eine falsche Geste, schon suchte ich den Zweikampf. Nicht immer gingen diese Zwischenfälle glimpflich aus. Irgendwann in dieser Zeit tauchte ich noch einmal in Berlin auf. Wie war ich dorthin gekommen? Warum war ich überhaupt da? Vor meiner alten Tränke, dem »Rockys Inn«, sah mich durch Zufall mein alter Kumpel Balli, der mit einem Bekannten im Auto an der Ampel stand, als ich gerade an ihm vorbeimarschierte. »Ist das nicht der Uli Borowka?«, fragte Ballis Begleitung. Mein Freund brauchte eine Weile, bis er mich erkannte. Mein T-Shirt war voller Blut. Drei Vorderzähne waren ausgeschlagen. Als Balli mich ansprach, lächelte ich nur debil. Bis heute weiß ich nicht, wer mich damals so übel zugerichtet hatte.
Der Filmriss, der mich 1995 noch so erschreckt hatte, war längst zu einem ständigen Begleiter geworden. Nicht selten erwachte ich morgens in meinem eigenen Erbrochenen, die Matratze umstellt von mehreren Paletten Dosenbier. Wo war ich gestern gewesen? Was hatte ich getan? Hatte es Streit gegeben? Meine Erinnerungen an den Vortag waren gelöscht wie Dateien von einer Festplatte.
So wie an jenem Tag, als ich dem Tod erneut von der Schippe sprang.
Es war dunkel, als ich die Augen öffnete. Ich versuchte meinen Körper zu bewegen, doch die Schmerzen drangen selbst durch den Nebel des Vollrauschs. Wo war ich? Endlich hatten sich meine Augen an die Dunkelheit gewöhnt. Ich lag, die Hose zerrissen, das Gesicht blutverschmiert, auf den Flussbettsteinen unter einer Brücke in der Nähe von Rheydt. Was war passiert?
Ich musste die fünf Meter heruntergestürzt sein.
War ich im besoffenen Kopf gestolpert? Hatte man mich die Brücke hinuntergeschmissen? Mein Schädel schmerzte fürchterlich. Vorsichtig ertastete ich mit den Fingern eine mehrere Zentimeter große Wunde am Kopf. Wie hatte ich das überlebt? Irgendwie schleppte ich mich zurück in mein Loch. Erst nach Stunden rief ich einen Bekannten an, der mich ins Krankenhaus fuhr. Auf seine Kosten flickten mich die Ärzte wieder zusammen. Vollkommen vergessen hatten mich meine Mitmenschen also noch nicht.
Wie bereits erwähnt, wohnte ich in Rheydt, um irgendwie in der Nähe meiner Familie zu sein. Einer Familie, zu der ich eigentlich nicht mehr gehörte. Nur sehr selten ließ mich Carmen noch zu den Kindern – wenn man meinen Zustand bedenkt, eine aus heutiger Sicht vernünftige Entscheidung. Damals aber sah ich das selbstverständlich ganz anders.
Immer wenn mir die Einsamkeit die Kehle zuschnürte, rief ich bei Carmen an. Es waren sinnlose Gespräche. Sie wusste das und ich eigentlich auch. Doch was sollte ich machen? Meine Familie einfach so aus dem Gedächtnis streichen? Meine Kinder waren doch im Prinzip das Einzige, was mir noch geblieben war.
Eines Abends jedoch rief zur Abwechslung Carmen mal bei mir an. Sie wolle mich sprechen, ob ich mich nicht schnell ins Auto setzen könne. »Ich kann nicht«, lallte ich, ich war viel zu betrunken, um noch Auto zu fahren. Scheinbar hatte ich einen hellen Moment erwischt, normalerweise war mir das scheißegal. Nach mehrmaligen Bitten ließ ich mich dann doch überreden, stieg in die Klapperkiste, die ich mir von welchem Geld auch immer geleistet hatte, und fuhr los. »Bring doch bitte noch was zu essen mit«, hatte Carmen noch gesagt, bevor sie aufgelegt hatte. Am Ortseingang von Erkelenz, wo Carmen inzwischen mit Irina und Tomek wohnte, gab es einen chinesischen Schnellimbiss, den steuerte ich an. Mit Tüten voller heißer Frühlingsrollen kam ich aus dem Laden und setzte mich wieder ans Steuer. Kaum hatte ich den Zündschlüssel umgedreht, klopfte es an meine Scheibe. Vier Polizisten, zwei in Zivil, zwei in Uniform. »Guten Abend, Routinekontrolle. Bitte steigen Sie aus Ihrem Wagen.« Kaum war ich ausgestiegen, packten sie mich grob am Arm, schmissen mich auf die Motorhaube und legten mir Handschellen an.
Sie brachten mich aufs Revier. Und was tat ich Idiot, als wir das Gebäude betraten? Fing an, die Polizisten wüst
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