Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
sah, zeigten die Messgeräte unglaubliche 4,1 Promille an. Hektisch fummelten die Ärzte an dem Gerät herum und tauschten es aus. Bei diesem Promillewert fielen normale Menschen eigentlich ins Koma. Doch auch im zweiten Versuch blies mein neuer Freund seine 4,1 Promille. Wo war ich denn hier gelandet?
Kurioserweise wurde mein Promillegehalt mit 0,0 angegeben, dabei hatte ich doch noch Stunden zuvor heftig gebechert. Auf die Abwehrmechanismen meines Körpers war also weiterhin Verlass. Was soll’s, hier wollte ich ohnehin nicht alt werden. Eigentlich, so stellte ich fest, als mich die Pfleger in den geschlossenen Aufnahmebereich brachten, tat ich das alles hier doch nur, um meinen Freunden aus Mönchengladbach einen Gefallen zu tun. Ein kleines Dankeschön für ihre Bemühungen, und ein Zeichen dafür, dass ich mir schon würde helfen können, wenn ich denn mal ein echtes Problem hätte.
Es kam anders.
Nach der Aufnahme brachten mich zwei bullige Pfleger auf mein Zimmer, das ich gemeinsam mit vier anderen Patienten teilen musste. Die Pfleger durchsuchten meine Reisetasche und wurden schnell fündig: Schmerztabletten, Schokolade, meinen Flachmann – alles nahmen sie mir weg. Lediglich das in meinem Geheimfach verstaute Handy fanden sie nicht. Ein kleiner Triumph.
Nach dem Abendessen saß ich im Raucherraum und zog an einer Zigarette. Auffällig unauffällig tauchten vor den großen Fenstern des Raucherraums erstaunlich viele Patienten auf, um mich verstohlen zu mustern. Ich kapierte schnell, was hier los war. In einer Entzugsklinik sprechen sich Neuigkeiten schneller rum als beim Kaffeekränzchen des örtlichen Hausfrauenbundes. Dass Uli Borowka, der Fußballer, auch in Bad Fredeburg war, war nun kein Geheimnis mehr.
Was ich in diesen ersten Tagen an Schicksalen mitbekam, ließ meine eigenen Probleme irgendwie schrumpfen. Da waren Menschen kurz vor dem Exitus, von Drogen vollkommen zerrüttet. Einer meiner Mitbewohner schmierte sich riesige Berge Butterbrote, um die Nacht zu überstehen – von den Entzugserscheinungen wurde ihm mal heiß, mal kalt, an Schlaf war kaum zu denken. Ein anderer berichtete unter Tränen, wie ihn seine Mutter im Alter von eineinhalb Jahren wie eine Katze in der Badewanne ertränken wollte.
In Fredeburg waren die Spielregeln ziemlich simpel: So lange man morgens nach dem Frühstück noch sein Namensschild an der Zimmertür im Aufnahmebereich vorfand, blieb man auch im Aufnahmebereich. Es dauerte fünf Tage, ehe ich am 14. März meine Sachen packen konnte und in den Therapiebereich der Klinik gebracht wurde. Von nun an hatte ich mich bei jedem Gespräch, jeder Diskussion, jedem Antrag folgendermaßen vorzustellen: Uli, 32, Alkoholiker. Die 32 setzte sich aus meinem Team 3 und der Gruppe zusammen, der Beiname »Alkoholiker« – nun ja, deshalb war ich ja da. So planlos ich die vergangenen Jahre durch den Alltag getorkelt war, so durchstrukturiert sah mein Leben in der Klinik aus: Frühstück, Mittagessen, Kaffeetrinken, Abendessen, Sport, Werkstattaufenthalt, Therapiesitzungen, Gruppen- und Einzelgespräche, Bettruhe – alles war bis ins kleinste Detail geregelt. Und wer sich nicht an die Spielregeln hielt, der riskierte im schlimmsten Fall den Rauswurf. Ich merkte schnell: Wer von der schiefen Bahn kommt, braucht klare Vorgaben.
Jeden Tag musste ich einen Tagesbericht für meine Therapeutin verfassen, quasi eine Art Tagebuch. Auszüge davon sind in diesem Buch veröffentlicht. Viele Stunden des Tages gingen dafür drauf, mit anderen Patienten oder den Therapeuten über sich und seinen Zustand zu sprechen. Warum hast du überhaupt Alkohol gesoffen? Warum geht es dir so dreckig? Warum bist du hier? Was sind deine Pläne? Und immer wieder: Wie geht es dir, wie gehst du mit deiner Krankheit um? Akzeptierst du überhaupt die Krankheit? Plötzlich musste ich, der doch bis vor Kurzem noch geglaubt hatte, die eigenen Probleme selbst in den Griff zu bekommen, mich mit meinen Fehlern auseinandersetzen. Ich, der knüppelharte Eisenfuß, musste über meine Gefühle sprechen, und nicht nur das – ich musste tagtäglich vor fremden Menschen einen Seelenstriptease hinlegen, die Hosen runterlassen bis zu den Knöcheln! Doch es dauerte ein oder zwei Wochen, bis ich mir vor dem Spiegel eingestehen konnte: Ja, du bist ein Alkoholiker! Und hier kann dir geholfen werden. Nimm die Hilfe an, oder verkriech dich wieder in deinem Loch! Viele Tage sträubte ich mich dagegen, schließlich hätte das
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