Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
und uns zwei Tore einschenkte. Auch das zweite Pokalfinale meiner Karriere hatte ich damit verloren.
Den Höhepunkt dieser Saison erlebte ich allerdings in den beiden Spielen gegen den BFC Dynamo. Die Ost-Berliner wurden uns gleich in der Vorrunde des Europapokals der Landesmeister als Gegner zugelost, anders als heute in der Champions League ging es damals gleich im ersten Spiel um alles. Wer verlor, war draußen. In diesem deutsch-deutschen Duell gegen den DDR-Meister war der Erwartungsdruck extrem. Eine Niederlage gegen die Ossis vom Stasi-Club BFC? Das war nicht akzeptabel.
Lag es an den hohen Erwartungen, dass wir das Hinspiel in Berlin gründlich verpatzten? Oder waren wir gegen die Mannschaft um die DDR-Stars Andreas Thom und Thomas Doll einfach zu überheblich ins Spiel gegangen? Wer kann das heute schon sagen. Wir bezogen unser Hotel in Berlin jedenfalls äußerst selbstbewusst und nahmen bei ein paar Spaziergängen gleich mal Kontakt zu den DDR-Bürgern auf, die sich um unser Quartier versammelt hatten. Offiziell war es uns verboten worden, uns näher als 200 Meter auf die Ostdeutschen zuzubewegen, aber darauf gaben wir nichts. Einige Fans versuchten uns die Hände zu schütteln oder ein Autogramm zu bekommen, doch jedes Mal drückten sich strenge Stasi-Beamte dazwischen, verhinderten ein Treffen zwischen Ost und Nord und führten die allzu forschen Fußballbegeisterten einfach ab.
Im Hotel ging bald das Gerücht um, man hätte unsere Zimmer verwanzt, um uns irgendwelche Geheimnisse zu entlocken, aber so blöd waren wir ja auch nicht – die taktischen Besprechungen mit Otto fanden auf dem Trainingsplatz statt. Als wir uns abends zum Essen trafen, tauchte allerdings ein neues Problem auf: Günter Hermann, einer unserer wichtigsten Mittelfeldspieler, hatte große Schmerzen im Knie. Dr. Meschede, unser Mannschaftsarzt, führte Günter auf sein Zimmer, untersuchte das Knie und gab »Jimmy« eine Spritze. Am nächsten Morgen, wir saßen bereits beim Frühstück, tauchte Günter mit schmerzverzerrter Miene auf, das angeschlagene Bein hinter sich herziehend: Sein Knie war dick wie eine Pampelmuse. »Doktor«, rief Günter, »ich glaube, Sie haben die Spritze falsch gesetzt!« Nie werde ich das Gesicht von Otto vergessen, als ihm Dr. Meschede mitteilte, dass Günter Herrmann wohl nicht einsatzbereit wäre. Unser Norweger Vegard Skogheim musste für Günter einspringen. Dunkle Vorboten auf das, was da noch auf uns wartete, denn gegen die Ost-Berliner kamen wir böse unter die Räder. Doll, Thom und mein Gegenspieler Frank Pastor erzielten die Tore zum 0:3. Was für eine Schmach. Im Duell West gegen Ost hatten wir übel eins auf die Nase bekommen. Wie geprügelte Hunde kehrten wir an die Weser zurück.
Gut einen Monat nach der desaströsen Niederlage, am 11. Oktober 1988, empfingen wir den BFC in Bremen. Und zwar nicht, um uns würdevoll aus dem Europapokal zu verabschieden – seit den Spielen gegen Spartak Moskau kannte sich unsere Mannschaft schließlich aus mit Fußball-Wundern. Spartak war auch das Zauberwort in den Tagen vor dem Spiel. Spartak im Training, Spartak beim gemeinsamen Essen, Spartak in den Ansprachen von Rehhagel. Der »Geist von Spartak« hatte Werder fest im Griff, jeder einzelne aus der Mannschaft schaffte es, die Zweifel am Weiterkommen auszublenden. Wir hatten nur ein Ziel: Die Dynamos schlagen – und zwar mit mehr als drei Toren.
Wie bereits erwähnt, warteten Carmen und ich damals noch auf ein ganz anderes Wunder. Unser erstes Kind war im Anmarsch! Während ich versuchte, mich auf das Rückspiel gegen die Berliner vorzubereiten, lag Carmen bereits im Krankenhaus, das Baby hatte sich einen sensationellen Geburtstermin ausgesucht: Ausgerechnet in jener Europapokalnacht wollte es als neuer Erdenbürger begrüßt werden! Wenige Stunden vor dem Anpfiff griff ich mir unseren Zeugwart Günter Ehrke. »Günter«, schärfte ich ihm ein, »hier ist die Zimmerdurchwahl meiner Frau. Ruf regelmäßig bei ihr an und gib mir Bescheid!« Günter nickte, wenn etwas im Krankenhaus passieren sollte, würde er sich bemerkbar machen. Zur Not musste ich mich eben zur Halbzeit auswechseln lassen.
Die letzten Minuten vor dem Spiel wird niemand vergessen, der damals mit dabei war. Die Luft vibrierte förmlich vor Aggressivität, wir alle, vom Trainer bis zum letzten Auswechselspieler, brannten darauf, es den Berlinern heimzuzahlen. Was bildeten die sich eigentlich ein, uns aus dem Europapokal
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