Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Wenn dann Kinder da sind, um die man sich kümmern muss, gibt’s allerdings auch heute noch viele Genderprobleme und Vorurteile.
Sind Sie denn stolz darauf, eine Schwäbin zu sein?
Ich bin sehr gerne hier und wir bleiben auch hier wohnen. Allerdings sind mein Mann und ich viel unterwegs. Es gibt ja zwei Typen von Schwaben: die Kirchturmschwaben, die sich nie aus dem Dunstkreis ihres Kirchturms wegbewegen. Vielleicht doch mal im Urlaub, aber gedanklich nicht. Den zweiten Schwabentypus finden Sie überall auf der Welt. Der schaut sich um, schafft in der Fremde, kommt dann gerne zurück und bringt neue Ideen mit. Auch das ist urschwäbisch. So ist ein großer Teil der Industrie mit ihrem Wohlstand bei uns in der Region entstanden: Handwerker haben sich in der Fremde umgeschaut und das Gelernte in Schwaben verbessert und ausgebaut. Sie, Herr Kienzle, waren und sind ja auch immer wieder lange Zeit weg. Ich habe in Berlin studiert und habe heute dort ein Anwaltsbüro. Neben meiner Arbeit in Bonn und Berlin hatte ich schon immer viel mit und in Afrika zu tun. Heute lehre ich nicht nur in Deutschland, sondern auch in Schanghai und Vietnam. Im Augenblick bin ich viel in arabischen Ländern unterwegs, um dort beim Entstehen der neuen Verfassungen zu beraten.
Sie sind ja Abgeordnete eines Kreises gewesen, in dem auch die berühmten »Gôgen« 7 lebten. Kennen Sie einen richtig guten Gôgen-Witz?
Viele! Aber die sind häufig nicht stubenrein.
Raus damit!
Lieber nicht! Außerdem verraten die zu viel über uns Schwaben und wir lachen zwar gerne selber über uns, finden es aber gar nicht toll, wenn das andere tun. Auch das gehört zu unseren schwäbischen Eigenschaften.
Ist der schwäbische Witz, weil er zum Teil auch ziemlich derb ist, nicht vermittelbar außerhalb Baden-Württembergs?
Viele halten manches an uns für merkwürdig. Ich esse zum Beispiel sehr gerne »Saure Nierle« oder …
Saure Kutteln?
Nein! Kutteln nicht! Die gab’s bei uns gelegentlich nach dem Krieg, meist nicht weich genug gekocht. Das schmeckte schrecklich, daran habe ich schlechte Erinnerungen. Aber ich mag Lunge, Bries oder auch Hirn. Meine norddeutschen Freunde schütteln sich schon beim Gedanken an sowas. Nur die Chinesen – die haben dafür Verständnis. Die mögen das auch. Ich fand auch lustig, wie die Tochter meiner norddeutschen Freundin als Studentin an der Ludwigsburger Filmhochschule in ihrem Examensfilm ihre Erfahrungen mit schwäbischen Vermieterinnen schilderte. Sie hat nicht nur die typisch norddeutschen Vorurteile gegen die Kehrwoche oder die Gewohnheit, die Haustür abzuschließen und die Lichter auszumachen, einbezogen – das alles hört man ja häufiger. Ihr ist vielmehr auch das »Stoßlüften« als super komisch und typisch schwäbisch aufgefallen.
Stoßlüften? Gibt es ein anderes Wort dafür?
Das weiß doch jeder, was Stoßlüften ist!
Ich hab das noch nie gehört. Ich habe noch nie stoßgelüftet …
Herr Kienzle: Das Vorurteil lehrt, dass man in Norddeutschland auch im Winter morgens die Kippfenster schrägstellt und sie dann den ganzen Tag offen lässt, wogegen eine Schwäbin das nie täte! Ihre und die längst auch von Ökologen und Ökonomen empfohlene Version geht so: fünfmal am Tag für zehn Minuten alle Fenster auf – dann gibt es keinen Schimmel. Stoßlüften! Das hat die junge Studentin auf köstliche Weise dargestellt – mit Stoppuhr und allem Drum und Dran!
Schon wieder was g’lernt – Stoßlüften!
Die schwäbische Version verbindet das Lüften mit dem Energiesparen.
Was ist, über das Essen und das Stoßlüften hinaus, noch typisch schwäbisch an Ihnen?
Dass ich meinen Urlaub gerne hier verbringe, dass ich gerne auf die Alb gehe und wandere. Und wenn Sie Lust haben, dann zeige ich Ihnen den für mich schönsten Ort der Schwäbischen Alb – das ist der Bolberg. Ein Traum!
Dort entspannen Sie sich von Ihren politischen Streitereien?
Ich habe jetzt keine Streitereien mehr. Ich muss nichts mehr – ich darf. Ich hab jetzt nur noch den Streit, den ich will.
1 Im Herzogtum Württemberg verschmolzen die Geistlichkeit und das Bürgertum im Lauf des 16. Jahrhunderts zu einem einzigen Stand: der württembergischen Ehrbarkeit.
2 Schwäbisch für: liebenswert gewitzt
3 Der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) soll als internationale Finanzinstitution mit Sitz in Luxemburg eingerichtet werden, um die Zahlungsfähigkeit der Staaten in der Eurozone zu sichern.
4 Durch den Fiskalpakt soll die
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