Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
Kontrolle über die nationalen Steuerpolitiken in der Eurozone teilweise auf die europäische Ebene übertragen werden.
5 Schwäbisch für: scharfe Zunge
6 Verachtung der Geschlechterrolle
7 Tübinger Weinbauern, die in leidenschaftlicher Dauerfehde mit Studenten und Professoren lebten
Theo Waigel
Wissen, wo man
hingehört
Zuletzt ist er doch noch im Zentrum der bayerischen Macht angekommen – wenn auch ganz anders, als einst beabsichtigt: Er kontrolliert Siemens, Bayerns größten Konzern. Im Auftrag des US-amerikanischen Justizministers soll er verhindern, dass man in der Zentrale am Wittelsbacherplatz wieder auf »dumme Gedanken« kommt. Waigel ist so etwas wie Korruptions-Controller. Ein ehemaliger CSU-Vorsitzender auf der Jagd nach Bestechlichkeit – im Amigo-Land Bayern nicht ohne Ironie. Er hat ein großes Büro in der Siemens-Zentrale, die ganz in edlen Grau- und Weißtönen gehalten ist. Und er genießt seinen Auftrag sichtlich. Aber ich bin nicht wegen Korruption hier, es geht um Schlimmeres: Um die bayerischen Schwaben. Mich interessiert Theo Waigel als Schwabe. Die bayerischen Schwaben sind ein schwieriger Menschenschlag – keine richtigen Bayern, aber auch keine richtigen Schwaben mehr. Schon lange rollt die Bajuwarisierungswelle. Aus dem Weinstüble ist das Weinstüberl geworden, aus dem Fleischküchle das Fleischpflanzerl. Viele »Schrumpfschwaben« bewundern insgeheim das krachlederne »Mir-san-mir«-Gehabe der Bayern, denn sie sind ganz anders. Es mangelt an schwäbischer Identität und Selbstbewusstsein. Und doch gelingt es ihnen nicht, ihre schwäbischen Wurzeln ganz zu verleugnen – schließlich ist der Regierungsbezirk Schwaben das letzte politische Überbleibsel des einst ruhmreichen Herzogtums Schwaben.
Waigel hat nie »gestoibert« oder gar »gesödert«. Als er bayerischer Ministerpräsident werden wollte, hat er ein bisschen Bayerisch in seine Stimme gelegt. Sein Höchstmaß an Anpassung. Heute ist sein Schwäbisch wieder unverkennbar. Der »Vater des Euro« hat seine Politik gerne mit offenem Visier vertreten. Ziemlich schwäbisch. Waigel wirkt bei meinem Besuch in der Siemens-Zentrale ziemlich entspannt, er lacht gerne. Auch über sich selbst.
HERR WAIGEL, schön, Sie mal wieder zu treffen. Aber ausgerechnet hier bei Siemens? Im Herzen der Finsternis?
Das hängt damit zusammen, dass ich bei Siemens Monitor 1 bin. Seit vier Jahren überprüfe ich, ob der Konzern sein System auch wirklich geändert hat.
Also nicht mehr besticht.
Genau – und ob diese Veränderung der Firmenpolitik nachhaltig ist. Mit Ende dieses Jahres werde ich meine Tätigkeit beenden, weil sie ihre Kultur wirklich verändert haben.
Korruption ist ein schwieriges Thema. Ich habe ja lange in Arabien gelebt, da kommt man ohne Bestechung nicht weiter – auch nicht im ganz privaten Leben.
Herr Kienzle, das ist wahr. Dort ist die Bestechung das Aufbessern extrem niedriger Löhne. Aber im wirtschaftlichen Bereich gibt es klare Grenzen, wo Sie sagen müssen: »Hier machen wir keine Geschäfte!«
Dann macht ein anderer das Geschäft.
Nicht ohne Weiteres. Ich will Ihnen mal ein kleines Beispiel erzählen: Eines Tages standen 50 Kunden, die Siemens-Medizintechnologie bestellen wollten, am Flugplatz in Nürnberg und haben gesagt: »Jetzt bitten wir, noch zwei Tage nach Disneyland ausgeflogen zu werden. Wir haben aber kein Bargeld.« Da hat Siemens gesagt: »Tut uns leid – das können wir nicht bezahlen.« Darauf hat diese Delegation gesagt: »Dann bekommt ihr den Auftrag nicht.« Siemens hat den Vorgang ordnungsgemäß den übergeordneten Stellen gemeldet und die Aufträge wurden doch erteilt. Man muss manchmal nur den Mut haben. Siemens hat durch diese Methode weltweit keine Aufträge verloren – vielleicht mal den einen oder anderen. Aber insgesamt nicht.
Erstaunlich.
Die Welt ist nicht besser geworden, aber es hat sich etwas geändert. Ich will Ihnen noch ein Beispiel erzählen. Heinrich Hiesinger, der Vorstandsvorsitzende bei ThyssenKrupp, früher bei Siemens im Vorstand, übrigens auch ein Schwabe, den habe ich mal sehr einprägsam erlebt, als er in Erlangen zu seinen Leuten gesagt hat: »Tut es nicht, im Interesse des Unternehmens. Und tut es nicht, und das ist noch wichtiger, in eurem eigenen Interesse und im Interesse eurer Frauen und eurer Kinder – damit ihr in der Früh in den Spiegel schauen könnt.« Das hat mir imponiert.
Jetzt machen wir einen gewaltigen Sprung: Wenn Sie, Herr Waigel,
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