Ulrich Kienzle und die Siebzehn Schwaben: Eine Reise zu eigenwilligen Deutschen (German Edition)
damals nicht geglaubt hat!«
Das Modell auf der Messe ist dann aber nicht mehr aus Pappe gewesen!
Ich hatte damals erkannt: Es hat keinen Sinn, wenn ich mich da hinsetze und das alles selber konstruiere. Da wär ja meine ganze Firma liegen geblieben. Ich wusste: Da brauchst du einen guten Ingenieur. Dann habe ich einen guten Ingenieur gesucht – und auch einen wirklich guten Mann gefunden. Eines Tages hat er mir am Telefon mitgeteilt, ich war gerade unterwegs: »Der erste Prototyp ist fertig!« Da habe ich mir natürlich gedacht: »Nichts wie hin!« – »Aber gehen Sie nicht rein!«, hat er noch gesagt. »Die funktioniert noch nicht!« Das war ausgerechnet an Weihnachten, nachmittags wollte ich meine Tochter vom Flughafen abholen.
Hier in Berlin?
Ja, hier in Spandau ist unser Werk. Kein Mensch war mehr da. Ich geh da rein und sehe den weißen Kasten: die erste Wall-City-Toilette! Kein Traum! Da war so ein Kreppkleber drauf: »Bitte nicht einschalten«. Ich reiß den Kreppkleber weg, werf 50 Pfennig rein und die Türe öffnet sich.
Und niemand sonst war da?
Nein, die ganzen Werkarbeiter waren in den Weihnachtsferien! Ich geh da rein. Und die Tür geht zu. Ich guckte mir das alles an – und irgendwann wollte ich wieder raus. Aber die Türe ließ sich nicht öffnen. »Oh je«, dachte ich mir. »Jetzt kommst du erst in einer Woche wieder raus. Wenn die wieder anfangen zu arbeiten …«
Wenigstens hatten Sie ein Klo!
Ich bin dann an der Innenwand nach oben geklettert, da habe ich mich aufgeschnitten. An der Innenwand lief schon das Blut runter. Da wurde ich panisch.
Das klingt ja nach einem Krimi!
Es ist gefährlich, wenn der Mensch panisch wird.
Von der eigenen Erfindung gefangen.
Irgendwie habe ich das dann von unten aufgeschoben. Und dann kam ich raus und bin wirklich schweißgebadet zu meiner Tochter zum Flughafen gefahren. Aufgrund dieser Erfahrung habe ich dann einen Notausstieg einbauen lassen.
Sie stammen aus Aalen …
Aus Ôhla! 3 Ahlen ist in Westfalen.
Also Sie sind Schwabe durch und durch?
Ja, und ich bin stolz drauf.
Im Jahr 2005 wurden Sie zum »Berliner des Jahres« gewählt. Wenn ein »Berliner des Jahres« sagt: »Ich bin stolz, ein Schwabe zu sein« – das klingt schon ein bisschen komisch, oder?
Ich bin natürlich auch stolz, ein Berliner zu sein. Aber ich bin ein schwäbischer Berliner.
Worauf sind Sie denn mehr stolz? Aufs Berliner- oder aufs Schwabesein?
Ich bin schon 30 Jahre hier. Kinder, Berlin ist doch unsere Hauptstadt! Da kommen wir wieder zum Europathema: Bevor ich Griechenland und Spanien entschulde, entschulde ich doch erst einmal die deutsche Hauptstadt. Oder Bremen oder das Saarland. Also deutsche Länder, die das Geld dringend bräuchten! Die Griechen wollen ihr Land doch selber in Ordnung bringen. Was wäre denn so schlimm daran, wenn man sagt: »O. k., geht raus aus dem Euro. In zehn Jahren könnt ihr wieder zurückkommen.« Aber jetzt kommen wir wieder vom Thema ab …
Genau! In Ihrer Jugend sind Sie ja einmal wirklich im Knast gelandet. Und ausgerechnet eine Sekte hat Sie wieder auf den rechten Pfad gebracht?
Das war schon mehr die Erziehung im Elternhaus. Meine Mutter kommt aus einem schwäbischen Bauernhaus, aus Schwäbisch Gmünd. Das waren anständige Leute. Das hat mich am meisten geprägt. Aber Sie haben schon recht: Bei den Zeugen Jehovas habe ich die Bibel studiert. Ich würde da heute nicht mehr eintreten – aber vor den Leuten habe ich Respekt. Wenn Sie in die großen Stadien gehen und da sind 100 000 Zeugen Jehovas, und wenn Sie da den Geldbeutel verlieren – da brauchen Sie keine Karte sperren zu lassen! Da wird nichts geklaut! Ich habe da sehr viel gelernt, auch freies Reden – vor hundert Leuten einen Vortrag zu halten. Das war für mich eine Lernphase. Ich bin nicht böse, dass ich da 20 Jahre Mitglied war.
Wo Sie aufgewachsen sind, gab es ja viele fromme Leute.
Ja, meinen Bruder zum Beispiel. Ich habe vor allen Leuten, die ihren Glauben leben, Respekt. Aber ich habe gemerkt: Das ist nicht das Richtige für mich. Die üben auch Druck aus, wenn einer anders ist. Wenn einer raucht, dann kommt der nicht ins Paradies – das ist doch lächerlich, oder? Das ist doch meine Privatsache! Ich wurde ausgeschlossen, weil ich Zigarettenwerbung gemacht habe. Da musste ich mich entscheiden: entweder die Firma oder die Zeugen Jehovas.
War es hart für Sie, als Sie da rausgeflogen sind?
Im ersten Moment schon – weil so viele Bekannte dann kein Wort
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