Ulysses Moore 8: Der Herr der Blitze (Staffel 2 Band 2) (German Edition)
ist denn bei euch los? Warum willst du mich sprechen?«
»Es ist ein Mädchen gekommen, das meine Tagebücher gelesen hat. Danke übrigens, dass du sie ohne mein Wissen an diesen Übersetzer geschickt hast. Over.«
Aus dem Lautsprecher erklang ein krächzendes, Lachen. »Gern geschehen. Es war uns ein Vergnügen. Ist das alles? Over.«
»Nein. Es ist noch mehr passiert. Zu viel, um es jetzt zu erzählen. Aber wir suchen jemanden, der unsere Hilfe braucht. Wann kommt ihr zurück? Over.«
»Wer braucht uns? Verstehe nicht, drück dich deutlicher aus. Over.«
Leonards Stimme klang jetzt schwächer, so als hätte das Radio kaum noch Energiereserven. Nestor hob es hoch und hielt es ans Fenster in der Hoffnung, dass es dort genügend Licht auffangen könne, um weiterzusenden.
»Erkläre ich euch, wenn ihr wieder da seid. Aber etwas Wichtiges: Wir suchen ein Buch. Was weißt du über Morice Moreau? Over.«
»Was hast du gesagt? Was für ein Buch? Habe nicht verstanden. Over.«
»Reisetagebuch. Reise! Over.«
»Wiederhole den Namen. Over.«
»Morice Moreau. Over.«
»Einen Moment. Over.«
Nestor wartete, aber nichts geschah. »Leonard? Bist du noch dran? Over.«
Leonards Stimme schallte so laut und plötzlich aus dem Kopfhörer, dass Nestor erschrocken zur Seite sprang. Dabei rutschte ihm das Radiogerät aus den Händen und fiel zu Boden.
»…ekannt! Nicht wirklich …ekannt! … Er ist!«
»Nein!«, schrie Nestor und versuchte, zu rekonstruieren, was Leonard gerade gesagt hatte. Er drückte auf die Sendetaste. »Leonard! Hast du das Buch? Wer ist Morice Moreau?«
»…ypso!«, vernahm er mit einem Mal Kalypsos Stimme. »Morice Moreau …ar …oßvater!«
Sendetaste. »Was hast du gesagt, Kalypso? Wer war Morice Moreau? Over.«
Doch jetzt drang nur noch ein schwaches Krächzen aus dem Radio.
Nestor runzelte die Stirn.
Er musste sich verhört haben. Aber es war ihm vorgekommen, als hätte Kalypso gesagt, Morice Moreau sei ihr Großvater gewesen.
Kapitel 16
Familienangelegenheiten
Der aprikosenfarben tapezierte Flur wirkte freundlich und einladend.
Julia kümmerte sich nicht weiter um den Lärm, den die drei Flints draußen in der Gasse machten, und stieg in den ersten Stock hinauf. Sie fühlte sich alles andere als wohl in ihrer Haut. Wie ein Dieb drang sie in ein fremdes Haus ein.
Leise schlich sie die Treppe hinauf und gelangte in ein großes Wohnzimmer mit niedriger Decke. Zwei kleine quadratische Fenster gingen auf die Gasse hinaus. Der Fußboden aus hellen Holzdielen war so glatt und glänzend, dass man sich darin spiegeln konnte. Schnell zog Julia die Schuhe aus, um ihn nicht schmutzig zu machen.
Anschließend durchquerte sie auf Zehenspitzen den Raum und kam in einen kleinen Flur, von dem aus zwei Zimmer abgingen. Eine der Türen war angelehnt, die andere offen. Durch sie gelangte Julia in ein weiteres Wohnzimmer. Die Wände hier waren lila tapeziert und die schmalen hohen Fenster wurden von hellen Leinenvorhängen eingerahmt. Regale voller Bücher bedeckten drei der vier Wände. Zitternd schlich Julia zu den Büchern. Dabei warf sie einen Blick aus dem Fenster. Von den Flints war zum Glück nichts mehr zu sehen.
Trotzdem fühlte Julia ein Unbehagen in sich aufsteigen, da hörte sie plötzlich eine dünne Stimme rufen: »Kalypso?«
Kalt lief es Julia den Rücken hinunter.
»Kalypso, Liebes, bist du wieder da?«
Julia bekam weiche Knie. Das war sicher Kalypsos Mutter Iphigenie. Ihr Schlafzimmer musste das hinter der angelehnten Tür sein.
Regungslos blieb Julia stehen und lauschte. Sie hörte das Rascheln von Bettzeug und das Quietschen eines Bettrahmens. Und dann einen langen Seufzer.
Vielleicht braucht sie etwas, schoss es ihr durch den Kopf. Schließlich war Kalypsos Mutter krank …
Blitzschnell fällte Julia eine Entscheidung. Sie lief zurück in den Flur, schob die angelehnte Tür auf und betrat einen verdunkelten Raum.
»Kalypso, bist du es, Liebes?«, fragte die dünne Stimme wieder.
Als sich Julias Augen an das Dämmerlicht gewöhnt hatten, sah sie eine Frau mit dünnem weißem Haar und hellblauen Augen auf dem Bett liegen. Sie war so mager, dass sich ihr Körper kaum unter dem Laken abzeichnete und ihr Kopf auf dem Kissen wie der Knauf eines Spazierstocks aussah.
Julia lächelte freundlich. »Ich bin nicht Kalypso«, sagte sie. »Kann ich etwas für Sie tun?«
Die alte Frau schaukelte langsam mit dem Kopf hin und her. Dann schloss sie die Augen und auf ihrem Gesicht
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