Ulysses Moore – Das Buch der Traumreisenden
entlang. Das Hupen von Mrs Bertillon dröhnte ihm noch in den Ohren. Erst als er schon ein gutes Stück weit den Hügel hinaufgelaufen war, blieb er stehen, um Atem zu holen. Der dichte Wald, der die Shamrock Hills bedeckte, war nicht mehr weit. Doch in der Ferne hörte er noch immer die Stimmen der Flints.
Verdammt, dachte er und ging in die Hocke, um kurz zu verschnaufen. Seine Unterlippe brannte.
Er stand auf und lief zügig weiter. Bisher hatte er nur daran gedacht, den Abstand zwischen sich und den Flints zu vergrößern. Jetzt aber wurde es Zeit, sich einen neuen Plan zu überlegen.
Per Anhalter zurück in den Ort zu gelangen, war um diese Zeit aussichtslos. Zur Mittagsstunde war kaum jemand auf den Straßen unterwegs.
Vor Ärger rannte er wieder ein kurzes Stück. Irgendwie musste er die Flints abhängen! Vielleicht fand er ja einen kleinen Pfad, der parallel zur Hauptstraße zurück in den Ort führte. Jason blieb stehen und sah sich um. Da hörte er plötzlich ein merkwürdiges Geräusch hinter sich und ehe er reagieren konnte, kam etwas metallisch Glänzendes auf ihn zugeschossen.
Er rettete sich mit einem Satz zur Seite, als mit nur wenigen Zentimetern Abstand ein Fahrrad an ihm vorbeisauste und mit quietschenden Bremsen einige Meter weiter bergab zum Stehen kam.
Jason stand auf. »He!«, rief er. »Was sollte das …«
»Alles in Ordnung?« Ein Mädchen mit schwarzen Haaren blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
Jason nickte nur.
»Mann, war das eine Fahrt! Bist du dir sicher, dass alles okay ist? Deine Lippe blutet.«
Jason fuhr sich mit der Hand über den Mund. »Ach, das. Das kommt nicht von dem Sturz.« Er sah den Hang hinauf. »Du hattest es aber ganz schön eilig.«
»Na ja, ich bin auch auf der Suche nach einem kleinen Ort … Kilmore Cove heißt der. Kennst du den?«
Jason kratzte sich am Kopf. »Na klar.«
In einer Siegesgeste riss das Mädchen die Fäuste in die Luft. »Ich habe es geschafft! Ich habe Kilmore Cove gefunden!« Sie umarmte Jason und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. »Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie glücklich ich bin!«
Etwas ratlos sah Jason das Mädchen mit den großen grünen Augen an, das aufgeregt im Kreis um ihn herumhüpfte.
»Ich weiß, ich muss dir wie eine Wahnsinnige vorkommen, aber …«
»Ach was … Wieso denn?« Jason winkte ab.
Sie streckte ihm die Hand entgegen. »Ich heiße Anita.« Dann legte sie ihm einen Finger auf die Lippen und betrachtete sein Gesicht. »Warte, sag nichts … Du bist etwas größer, als ich gedacht hatte, aber inzwischen müsstest du auch ein paar Jahre älter sein. Also, ich bin überzeugt davon, dass du Jason bist, Jason Covenant!«
»Woher weißt du, wer ich bin?«, fragte Jason völlig überrascht.
»Covenant!«, hörte er in diesem Augenblick den kleinsten Flint brüllen.
Jason zuckte zusammen und blickte über die Schulter zurück.
»Offenbar bin ich nicht die Einzige, die deinen Namen kennt«, stellte Anita trocken fest.
Am Rand des Waldes tauchten die drei Flint-Vettern auf.
»Dieses Mal entkommst du uns nicht!«
»Jetzt haben wir dich, Covenant!«
»Oh Mist!«, rief Jason.
Anita sah erst ihn an und dann die drei Flints. »Du steckst wohl in Schwierigkeiten, was? Los, spring auf!«
Jasons Blick schweifte von Anitas Rad, den Hang hinunter zu den Dächer von Kilmore Cove. »Es könnte …«
»Gefährlich werden, ich weiß«, fuhr Anita ihm ins Wort. »Aber deswegen bin ich ja hier.«
Unten in Kilmore Cove schlug die Kirchturmuhr zwei Uhr. Rick Banner lag auf seinem Bett, ein großes schwarzes Heft gegen die Knie gelehnt, den Füller quer im Mund.
Er hatte einige Sätze geschrieben, ausgestrichen und wieder neu formuliert, und inzwischen hatte er die Hoffnung verloren, jemals etwas Zufriedenstellendes zu Papier zu bringen.
»Liebe Julia«, las er laut. Bis dahin war es leicht gewesen. »Deine Augen …« Er stöhnte und sah zu den Rissen an der Decke empor. Vielleicht besser nicht die Augen erwähnen. Er sollte sich auf etwas Konkreteres konzentrieren. Etwas, das Julia in die Lage versetzte, sofort zu verstehen, was er für sie empfand.
»Jedes Mal, wenn ich mit dir zusammen bin …«, schrieb er schnell, »auch wenn es dir nicht gut geht und du so viel husten musst …« Gleich darauf schlug er sich gegen die Stirn und fragte sich, warum es ihm einfach nicht gelang, seine Gefühle in Worten auszudrücken.
»Rick!«, hörte er da jemanden unten auf der Straße rufen. »Rick!« Es war
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