Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens

Titel: Ulysses Moore – Die Häfen des Schreckens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierdomenico Baccalario
Vom Netzwerk:
zurücklassen.
    Mit einem Hüftschwung versuchte sie, in die Kabine zurückzukehren. Es gelang ihr, doch der scharfe Innenrand des Bullauges schürfte ihr oberhalb ihrer Jeans die Haut ab. »Los!«, spornte sie sich selbst an und streckte eine Hand nach dem Büchlein aus. Sie konnte es beinahe berühren.
    Aber nur beinahe.
    Wenn sie nur noch ein kleines Stück weit zurück in den Raum rutschte. Nur noch ein winzig kleiner Hüftschwung …
    Die abgeschürfte Stelle brannte wie Feuer.
    Sie atmete tief ein, presste dann alle Luft aus ihrer Lunge und rutschte mit ihren Hüften ein Stück weiter nach innen. Dann versuchte sie, mit der Hand wieder an das Notizbuch zu kommen. Jetzt erreichten ihre Fingerspitzen seinen Rand, aber sie bekam es dennoch nicht zu fassen.
    Sie hörte Spencer auf Deck brüllen: »Was macht ihr da, ihr dummen Viecher? Was habt ihr vor?«
    Julia biss die Zähne zusammen. Sie hörte, wie etwas ins Wasser fiel. Etwas Schweres, wie ein Fass Rum oder … wie ein Mensch.
    »Kommt her! Kommt sofort wieder her zu mir!« Es klang, als sei Spencer außer sich vor Wut. »Bleibt auf euren Plätzen! Auf eure Posten!«
    Die Brigantine neigte sich zur Seite und eine große Welle überrollte sie beinahe. Julia wurde in die Kabine zurückgeschleudert und kullerte hilflos auf dem Boden herum. Als sie es geschafft hatte, sich am Tisch hochzuziehen, neigte sich das Schiff auf die andere Seite, und Julia verlor erneut den Halt. Inmitten herabgestürzter Gegenstände fand sie sich in einer Ecke des Raums wieder.
    Sie hörte, wie sich Schritte näherten, und erkannte an ihrem Klang Spencer.
    Hektisch suchte sie nach dem Notizbuch, konnte es aber nirgends entdecken. Nein! Es konnte doch nicht verschwunden sein! Nicht jetzt! Wo steckte es bloß?
    Das Geräusch der Schritte verstummte. Jemand stand genau vor der Kabinentür.
    Julia schaute zu dem offenen Bullauge hinauf. Dann suchte sie weiter nach dem Fensterbuch. Vielleicht war es ja unter das große Bett in der gegenüberliegenden Ecke des Raums gerutscht.
    Sie sollte …
    Sie müsste …
    »JULIA, LAUF WEG!«, hatte die sterbende Oblivia geschrien. »LAUFT ALLE WEG VON HIER!«
    Das Schiff wurde von einer Welle ergriffen, die noch mächtiger war als die beiden vorangegangenen. Julia kam es vor, als hätten Himmel und Meer die Plätze getauscht.

Kapitel 24
Die Geiseln
    »Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll«, gestand Direktor Marriet im Dorf der Affen.
    »Du könntest uns zum Beispiel erklären, warum du uns aufhängen wolltest«, erwiderte Leonard unfreundlich. Er rieb sich die schmerzenden Handgelenke. »Oder uns verraten, woher diese Affen kommen. Oder aber, was du hier eigentlich tust. Such dir was aus. Uns ist egal, womit du anfängst.«
    »Ich wusste doch nicht, dass ihr das wart«, rechtfertigte sich Marriet weinerlich. Seit ihn Leonard und Kalypso das letzte Mal gesehen hatten, hatte er sich sehr verändert. Das Gesicht war abgemagert und von Pockennarben verunstaltet. Die eingesunkenen Augen glänzten fiebrig. Seine Stimme kippte immer wieder.
    Kalypso nahm einen Schluck des warmen Getränks, das Marriet für sie hatte zubereiten lassen, und zwang sich, es nicht gleich wieder auszuspucken. »Soll das heißen, dass du uns aufgehängt hättest, wenn wir jemand anders gewesen wären?«
    Der ehemalige Direktor der einzigen Schule von Kilmore Cove sah sie teilnahmslos an. »Euch aufzuhängen würde bedeuten, zwei von uns zu befreien. Es ist verwerflich, ich weiß … Aber auch wir sind Gefangene, Gefangene der Affen. Ich und noch vier andere.«
    »Was soll das heißen, dass ihr Gefangene der Affen seid?«, hakte Leonard nach. »Warum? Und wer sind die anderen?«
    Marriet rieb sich den Kopf und schüttelte ihn dann wie ein Wahnsinniger hin und her. »Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht! Ich weiß es nicht!«
    »Ich glaube, es wird langsam Zeit, dich nach Hause zurückzubringen, mein Lieber«, meinte Leonard.
    »Das könnt ihr nicht.«
    »Das können wir nicht?«
    »Ich bin dazu verdammt hierzubleiben, bis die anderen mit dem König der Affen zurückkommen«, schrie der ehemalige Schuldirektor und verzog das Gesicht zu einer grotesken Grimasse.
    »Was erzählst du denn da?«
    »Es ist wahr! Ich bin im Austausch gegen ihren König hier zurückgelassen worden!«
    Leonard packte ihn an den Schultern und versuchte, ihm direkt in die Augen zu schauen. Doch der Blick des armen Marriet glitt ständig an ihm vorbei, wie bei jemandem, der den Verstand verloren hatte.

Weitere Kostenlose Bücher