Um Haaresbreite
Narkose und redete meist nur wirres Zeug. Von einem Autounfall, der schon lange her ist, und bei dem seine Mutter umkam.«
Danielles Liebhaber stieg aus dem Bett und ging ins Badezimmer. »Wenigstens hat er keine Staatsgeheimnisse ausgeplaudert.«
Sie nahm einen Zug aus ihrer Zigarette und stieß den Rauch langsam durch die Nase aus. »Vielleicht doch.«
»Schieß nur los, ich höre dich«, sagte er aus dem Badezimmer.
»Charles beauftragte mich, dir zu sagen, daß die Sicherheitsmaßnahmen in James Bay verstärkt werden müssen.«
»So ein Quatsch!« Er lachte. »Wir haben bereits doppelt soviel Wachleute dort, wie wir brauchen.«
»Er meinte ja nicht das ganze Gebiet. Nur die Kontrollkabine.«
Er kam an die Tür, wischte sich den kahlen Schädel mit einem Badetuch ab. »Welche Kontrollkabine?«
»Die über dem Generatorenraum, hat er gesagt, wenn ich mich recht erinnere.«
Er war überrascht. »Hat er es näher erklärt?«
»Er faselte dann nur noch, daß Kanada in großer Gefahr schwebe, falls die falschen Leute es entdeckten…«
»Was entdeckten?«
Sie zuckte die Schultern. »Er brach mitten im Satz ab, weil er zu starke Schmerzen hatte.«
»Ist das alles?«
»Nein, er wollte, daß du dich mit einem Max Roubaix in Verbindung setzt.«
»Max Roubaix?« Er machte ein skeptisches Gesicht. »Bist du sicher, daß er diesen Namen nannte?«
Sie blickte zur Decke, überlegte, und dann nickte sie. »Ja, ich bin mir ganz sicher.«
»Seltsam.«
Ohne weitere Erklärung zog er sich wieder ins Badezimmer zurück, stellte sich vor einen großen Spiegel und nahm die Positur ein, die man im Jargon des Bodybuilding ein Vakuum nennt. Er atmete tief aus und ein, weitete den Brustkorb mit einer solchen Anstrengung, daß die Blutgefäße unter der Hautoberfläche fast zu platzen schienen. Dann packte er das rechte Armgelenk mit der linken Hand, schwenkte den Arm gegen die Brust.
Henri Villon betrachtete sein Spiegelbild mit kritischem Blick.
Körperlich war er in idealer Verfassung, da gab es nicht das geringste auszusetzen. Dann prüfte er die Meißelung seines Gesichts, die römische Nase, die teilnahmslosen grauen Augen, und als er allen Ausdruck verschwinden ließ, verhärteten sich die Züge, und sein Mund zuckte satanisch. Es war, als lauere ein wildes Tier unter der Marmorschicht einer Statue.
Seine Frau und seine Tochter, seine Kollegen von der liberalen Partei und die halbe Bevölkerung Kanadas hätten sich in ihren wildesten Träumen nicht vorgestellt, daß Henri Villon ein Doppelleben führte. Für die Öffentlichkeit war er ein angesehenes Parla mentsmitglied und der Innenminister, insgeheim das Oberhaupt der Free Quebec Society, der radikalen Bewegung, die für die volle Unabhängigkeit des französischsprachigen Quebec kämpfte.
Danielle kam herein und stellte sich hinter ihn, ein Badetuch wie eine Toga um ihren Körper geschlungen, und sie strich ihm zärtlich über die Armmuskeln. »Kennst du ihn?«
Er entspannte sich, stieß langsam den Atem aus. »Roubaix?«
Sie nickte.
»Nur dem Ruf nach.«
»Wer ist er?«
»Wer war er, solltest du lieber fragen.« Er nahm die braune Perücke mit den grauen Schläfen und setzte sie sich behutsam auf den Kopf. »Wenn meine Erinnerung mich nicht täuscht, war Max Roubaix ein Massenmörder, der vor über hundert Jahren an einem Galgen aufgeknüpft wurde.«
8
FEBRUAR 1989
PRINCETON, NEW JERSEY
Unter den Studenten an den Tischen des Lesesaals im Universitätsarchiv von Princeton schien Heidi Milligan fehl am Platze. Sie trug die nach Maß geschnittene Uniform eines Korvettenkapitäns der Kriegsmarine, und sie maß, von den manikürten Fußnägeln bis zum Ansatz ihres aschblonden Haars gerechnet, einen Meter achtzig. Und sie war sehr schlank und hübsch.
Für die jungen Männer im Saal war sie eine willkommene Ablenkung von ihren Studien. Sie wußte instinktiv, daß viele sie in ihrer Phantasie bis auf die Haut auszogen. Aber da sie über dreißig war, machte ihr das nicht mehr viel aus, wenn sie es auch nicht ganz gleichgültig hinnahm.
»Sie scheinen mal wieder übernachten zu wollen, Kapitän.«
Heidi blickte auf und sah die stets lächelnde Mildred Gardner, die mütterliche Archivarin der Universität. »Übernachten?«
»Noch spät arbeiten. In meiner Zeit nannte man es ›Mitternachtsöl brennen‹.«
Heidi lehnte sich zurück. »Ich muß mir jede mögliche Zeit stehlen, um an meiner Dissertation arbeiten zu können.«
Mildred blies sich die
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