Um Haaresbreite
die blaue Uniform im Schrank, und Heidi betrat den Fahrstuhl in einem enggeschnittenen, kupferfarbenen Seidenkleid mit tiefem Ausschnitt vorne und hinten und einer Seidenblume an der Brust. Neben der dazu passenden Handtasche trug sie einen langen, bis auf die Schulter hängenden Ohrring in Federform mit Juwelenbesatz, und um sich vor der kalten Winterluft Washingtons zu schützen, war sie in einen Mantel aus braunschwarzem synthetischem Fuchs gehüllt. Der Türsteher starrte sie bewundernd an und öffnete ihr den Schlag zu einem Taxi.
»Wohin?« fragte der Fahrer, ohne sich umzudrehen.
Die einfache Frage überraschte sie. Sie hatte sich nur entschlossen, ein bißchen auszugehen, wußte jedoch noch gar nicht, wohin sie wollte. Sie zögerte, und dann knurrte ihr zum Glück der Magen.
»Ein Restaurant«, platzte sie heraus. »Können Sie mir ein nettes Restaurant empfehlen?«
»Was möchten Sie denn essen, junge Frau?«
»Ich weiß nicht.«
»Steak, Chinesisch, Fisch und Meeresfrüchte?«
»Fisch und Meeresfrüchte.«
»Da habe ich gerade das Richtige«, sagte der Fahrer und drückte die Zähluhr herunter. »Ein sehr gutes Restaurant mit Blick auf den Fluß. Sehr romantisch.«
»Genau das, was ich brauche.« Heidi lachte und sagte entschlossen: »Fahren Sie mich hin.«
Der Abend sah ganz nach einem Reinfall aus. Da saß sie mutterseelenallein bei Kerzenlicht, nippte an ihrem Wein, sah die Lichter des Kapitols auf dem Wasser des Potomac flimmern und fühlte sich einsamer als je zuvor. Der Anblick einer allein an einem Tisch sitzenden Frau schien für manche Leute noch immer etwas Ungewöhnliches zu sein. Sie wurde die diskreten Blicke der anderen Gäste gewahr und konnte leicht deren Gedanken erraten. Hat jemand sie sitzengelassen? Ist sie eine Ehefrau auf Abwegen? Oder eine Nutte, die gerade Essenspause macht? Diese Vermutung bereitete ihr besonderes Vergnügen.
Ein Mann kam herein und wurde an den übernächsten Tisch hinter ihr gewiesen. Das Restaurant war schwach beleuchtet, und sie sah nur, daß er hochgewachsen war, als er an ihr vorbeikam. Sie war versucht, sich umzudrehen, um ihn sich genauer anzusehen, konnte jedoch ihre anerzogene Schüchternheit nicht überwinden.
Plötzlich spürte sie seine Gegenwart in ihrer Nähe, und ihre Nase nahm den Duft männlichen Rasierwassers wahr.
»Ich bitte um Verzeihung, schöne Frau«, flüsterte ihr eine Stimme ins Ohr, »hätten Sie das Herz, einem armen und heruntergekommenen Säufer ein Glas Muscatel zu spendieren?«
Sie zuckte zusammen und blickte auf.
Das Gesicht des Eindringlings war im Dunkel nicht gleich zu erkennen. Dann ging er um den Tisch und setzte sich ihr gegenüber. Sein Haar war dicht und schwarz, das Kerzenlicht ließ zwei warme, meergrüne Augen aufleuchten. Die Züge waren wetterhart und von der Sonne gebräunt. Er blickte sie an, schien eine Begrüßung zu erwarten, schaute kühl und gleichgültig drein, und dann lächelte er – und im Nu schien der ganze Raum sich aufzuhellen. »Aber, aber, Heidi Milligan, erkennst du mich nicht mehr?«
Die Freude der Überraschung ließ sie erzittern. »Pitt! Oh, mein Gott, Dirk Pitt!«
Sie streckte spontan die Hände aus, nahm ihn bei den Schläfen, zog ihn zu sich, bis ihre Lippen sich berührten. Pitt machte ein erstauntes Gesicht, und als Heidi ihn wieder losließ, schüttelte er den Kopf. »Toll, wie ein Mann sich in einer Frau irren kann. Ich hatte nur einen Händedruck erwartet.«
Heidi errötete. »Du hast mich in einem schwachen Augenblick erwischt. Ich saß hier und bemitleidete mich, und als ich plötzlich einen Freund erblickte… habe ich mich halt gehenlassen.«
Er nahm ihre Hände, und sein Lächeln verschwand. »Es hat mich sehr betrübt, als ich hörte, daß Admiral Bass gestorben ist.
Er war ein guter Mann.«
Ihre Augen wurden dunkel. »Das Ende war schmerzlos. Als er im Koma lag, ging alles sehr rasch.«
»Gott weiß, was aus der Vixen-Affäre geworden wäre, wenn er nicht freiwillig seine Dienste angeboten hätte.«
»Erinnerst du dich noch, wie wir uns kennenlernten?«
»Ich kam, um den Admiral in seinem Gästehaus in der Nähe von Lexington, Virginia, zu interviewen, als er schon im Ruhestand war.«
»Und ich hielt dich für einen Regierungsbeamten, der ihn belästigen wollte. Ich habe dich schändlich behandelt.«
Pitt blickte sie an. »Ihr beide wart euch sehr nahe.«
Sie nickte. »Wir haben fast achtzehn Monate zusammengelebt.
Er war von der alten Schule, aber er
Weitere Kostenlose Bücher