Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Ächtung der Folter verpflichtet habe, müsse diese Folge in Kauf genommen werden, die Opfer sind dabei ohne Bedeutung.
Diese positivistische Denkart bedeutet, dass Gesetze und Normen, die aufgrund durchaus berechtigter Anliegen aufgestellt wurden, in Unrecht verkehrt werden können, wenn die Lage des Einzelfalles nicht berücksichtigt wird.
» Summum ius, summa iniuria « – das höchste Recht ist höchste Ungerechtigkeit. Dabei hatte bereits Gustav Radbruch erkannt, dass der Widerspruch eines positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Ausmaß erreichen kann, dass das Gesetz als »unrichtiges Recht« der Gerechtigkeit zu weichen habe.
Für die Rechtspositivisten war die Ankündigung unmittelbaren Zwanges zur Lebensrettung eines entführten und misshandelten Kindes kritiklos gleichbedeutend mit »Folter«.
Das »Fundament von Moral und Recht« hatte nur Gültigkeit für den Verbrecher, nicht für sein Opfer. Nur wenn der Rechtsstaat im Kampf gegen die Feinde der Freiheit konsequent seinen eigenen menschenrechtlichen Freiheitsprinzipien treu bleibe, wahre er seine Glaubwürdigkeit, die wiederum die Voraussetzung dafür bilde, dass er das Vertrauen der Menschen gewinnen könne: »Dieses Vertrauen aber erweist sich auf lange Sicht als die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Terrorismus.« (Heiner Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat ).
Und Arthur Kreuzer, Rechtsprofessor aus Gießen, brachte es in seinem Aufsatz auf den Punkt: Das Folterverbot (für den Täter) gelte absolut, der Lebensschutz (für das Opfer) nicht: »Menschenwürde lässt sich nicht für Lebensschutz schmälern.« ( Zur Not ein bisschen Folter? )
Für den Rechtsstaat sei das Recht der höchste Wert, nicht die Wahrheit, nicht die Sicherheit, auch nicht das Leben, meinte der Rechtshistoriker Wolfgang Schild, sich zur Begründung häufig selbst zitierend; es bleibe daher eine Missachtung der Würde des Verbrechers, »selbst wenn dadurch eine Gefahr abgewendet oder sogar ein Mensch aus Lebensgefahr gerettet werden könnte« ( Folter einst und jetzt ).
Im Gegensatz dazu standen diejenigen Rechtskundigen, die neben den kodifizierten und nichtkodifizierten Rechtsnormen auch Aspekte der Ethik und Moral als wichtig ansehen. Als Anhänger des Naturrechts, das heißt der »von Natur aus« unveräußerlichen Rechte eines Menschen, sahen sie die Gerechtigkeit in einer Rechtslehre, die dem positiven Recht vorgeht und ihm übergeordnet ist: Sie argumentieren, eine humanitäre Intervention sei gerechtfertigt, da aufgrund des Naturrechts eine generelle Pflicht bestehe, anderen Menschen zu helfen, auch wenn dies im Sinne des positiven Rechts rechtswidrig sei. In diese Richtung verliefen die Veröffentlichungen von zwölf namhaften Juristen zu unserem Verfahren, die am 27. November 2003 der Staatsanwaltschaft vorgelegt wurden, die ich aber nicht alle zitieren kann. Eine Auswahl soll genügen:
– Prof. Dr. Klaus Rogall, Freie Universität Berlin:
»Die Frankfurter Polizei handelte in Notwehr«, und zwar in Form der Nothilfe für einen anderen: Der Angreifer Magnus Gäfgen, der Jakob von Metzler seiner Freiheit beraubt und durch sein Handeln in Lebensgefahr gebracht habe, sei schließlich für die Lage seines Opfers verantwortlich. Die Abwehr des Angriffs treffe keinen Unbeteiligten, sondern werde auf Kosten dessen vollzogen, der für die Konfliktlage zuständig sei.
– Prof. Dr. Steen Olaf Welding, Technische Universität Braunschweig:
»Wäre es tatsächlich möglich gewesen, sein Leben zu retten, dann hätten die vielfältigen fundamentalistischen Erklärungen zugunsten des Folterverbots einen zynischen Unterton erhalten, etwa in der Lesart: In manchen Fällen ist das Recht nicht für das Leben des Menschen, sondern sein Leben ein Opfer für das Recht.«
– Dr. Heinz-Georg Sundermann, Rechtsanwalt (Neue Juristische Wochenschrift [NJW] 1988, S. 3192 ff.):
»Der Begriff ›den Täter angriffsunfähig machen‹ rechtfertigt somit als ultima ratio nicht nur den gezielt tödlichen Schuß, vielmehr verlangt das Grundgesetz aus der Garantenstellung der Polizei für das Opfer heraus sogar, daß der Staat von dieser Befugnis dann Gebrauch macht, wenn er keine andere Möglichkeit hat, die gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben der Geisel zu beenden.«
– Prof. Dr. Winfried Bruggert, Universität Heidelberg:
»Wenn aber Würde gegen Würde, sozusagen auch Rechtsstaat gegen Rechtsstaat steht, kann man die Normen als ausreichend ansehen,
Weitere Kostenlose Bücher