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Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Titel: Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin;Höhn Ennigkeit
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akzeptierte Form der Polizeiarbeit sein.« ( Augsburger Allgemeine , 28.02.2003)
    Und die hessische FDP-Chefin Ruth Wagner kritisierte den Ministerpräsidenten Koch, weil dieser »menschliches Verständnis« geäußert hatte: »Das Grundgesetz verlangt die Gleichheit vor dem Gesetz.« ( Frankfurter Rundschau , 03.03.2003)
    Das hatte Frau Wagner richtig erkannt, aber sie sah nicht oder wollte nicht sehen, dass auch das Opfer Rechte hat: das Recht auf Leben, auf Menschenwürde und auf Freiheit!
    Keiner erwähnte, dass die Polizei gesetzlich verpflichtet ist, Gefahren abzuwehren. Nicht allen war klar, dass sich Jakob von Metzler nach der damals zutreffenden Annahme in akuter Lebensgefahr befand; dass auch für Polizeibeamte die Unschuldsvermutung zu gelten hat, und dass sie in dieser schwierigen Situation Fairness verdient haben.
    Am 18. September 2003 erhielt Daschners Rechtsanwalt Hild endlich Akteneinsicht. Er konnte einen für ihn angefertigten Satz Duplo-Akten persönlich abholen und musste ihn nach einer Woche persönlich wieder zurückbringen.
    Zum ersten Mal bekamen wir die völlig verdrehte und übertriebene Falschaussage Gäfgens zu der Befragungssituation zu lesen. Wir wunderten uns sehr, dass die Staatsanwaltschaft sie, ohne sie zu hinterfragen, ernst nahm. Die Aussage zeigte auch eindeutig, dass die im Tagesspiegel geschilderte Situation, in der Gäfgen behauptet hatte, ein Ermittler hätte ihm gedroht, ihm auf dem Flur die Zähne auszuschlagen, absolut nichts mit mir zu tun hatte. Im Laufe der Zeit dichtete Gäfgen zum Ablauf der Befragung ständig neue Einzelheiten hinzu und wurde immer dramatischer.
    Ab Ende April begann Staatsanwalt Möllers mit der Vernehmung der polizeilichen Zeugen, meiner Kollegen. Er wurde unterstützt von zwei weiteren Staatsanwälten. Ich kann nur sagen, das Ergebnis war mehr als dürftig.
    Inhaltliche Widersprüche in den verschiedenen Aussagen wurden nicht hinterfragt, es gab meines Erachtens nicht genügend Vorhalte bei zweifelhaften Angaben, Behauptungen wurden nicht überprüft, offensichtliche Lücken nicht durch Nachvernehmungen geschlossen.
    Immer noch ging es um den Vorwurf des Verbrechens der »Aussageerpressung«, obwohl längst klar war, dass dieser nicht aufrechterhalten werden konnte. Aber er war nützlich, denn er machte den Zeugen Angst.
    Sie wollten sich offensichtlich nicht dem Risiko aussetzen, in dieses Verfahren als Mitbeschuldigte einbezogen zu werden oder gar eine disziplinarrechtliche Verfolgung gewärtigen zu müssen.
    Die wichtigste Frage für das Ermittlungsverfahren – welche zeitliche Lebenserwartung Jakob von Metzler am Morgen des 1. Oktober 2002 maximal noch hatte – wurde keinem der Zeugen gestellt – und der Zeuge, der sie mit wissenschaftlicher Begründung hätte beantworten können, wurde überhaupt nicht gefragt: Prof. Dr. Lutz, der Gerichtsmediziner, der in einer Fernsehdokumentation ganz klar sagte: »Aus medizinischer Sicht ist Daschners Überlegung durchaus nachvollziehbar. Es war eigentlich die Grenze schon erreicht, das heißt, die Überlebenschancen wären in der Praxis nur noch sehr sehr gering gewesen. Er hatte nicht mehr viel Zeit.«
    Nach § 160 Abs. 2 StPO ist die Staatsanwaltschaft verpflichtet, nicht nur die der Belastung, sondern auch die der Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln. Die Wahrnehmung dieser Pflicht ist in den Vernehmungen der Staatsanwälte für mich nicht erkennbar.
    Sie sind mit keiner Frage auf den ungeheuren Zeitdruck am Morgen des 1. Oktober 2002 eingegangen: Wie lange kann ein Mensch ohne Flüssigkeit überleben, wann stirbt er durch Unterkühlung, welche Bedeutung hatte das Kinderschlaflager mit Blutanhaftungen für die Beurteilung der Gefährdungslage? Und vor allem fehlte die Frage: Welche realistischen Möglichkeiten zur Rettung des Kindes haben die Polizeiführer Edwin F. und Werner T. unter Berücksichtigung dieser Umstände noch gesehen?
    Mir scheint es offensichtlich zu sein, dass diese Problematik nicht angesprochen werden sollte, weil durch eine objektive Prüfung das Kartenhaus der Ankläger in sich zusammengefallen, der »Verbrechensluftballon« geplatzt wäre.
    Alle Polizisten sagten jedoch aus, dass sie überzeugt waren, dass Jakob noch lebte und es in der Androhung von unmittelbarem Zwang nur um die Lebensrettung des Kindes gegangen sei, nie um Beweisermittlung. Denn die Täterschaft Gäfgens war eindeutig belegt. Abteilungsdirektor Wolfram Ritter bestätigte als Einziger, die

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