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Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Titel: Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin;Höhn Ennigkeit
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Wahrscheinlichkeitsurteil aber objektiv gerechtfertigt war.
    Daraus folgt, dass sich die Intensität der polizeilichen Eingriffsbefugnisse an dem Grad der Gefahr zu orientieren hat, die dem Einzelnen oder der Allgemeinheit droht.
    So legt beispielsweise § 12 Abs. 2 Hessisches Sicherheits- und Ordnungsgesetz (HSOG) fest, dass die Rechte der Auskunftsverweigerung (§§ 52 bis 55 der StPO) nicht gelten, wenn die Auskunft »für die Abwehr einer Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person erforderlich« ist. Gäfgen hätte also aussagen müssen, wo sich Jakob befand, da sich der Junge zweifellos in einer »gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben« befunden hatte.
    Eine Gefahr ist »gegenwärtig«, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung der Dinge der Eintritt eines Schadens sicher oder doch höchstwahrscheinlich ist, falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden, oder wenn, anders ausgedrückt, der ungewöhnliche Zustand nach menschlicher Erfahrung und natürlicher Weiterentwicklung der gegebenen Sachlage jederzeit in einen Schaden umschlagen kann (BGH 5 StR 586/88).
    Ich könnte weiter Gesetz um Gesetz auflisten, das die Richtigkeit unseres Handelns bezeugt. Ich bleibe bei einer kleinen Auswahl, da ich mir der Kompliziertheit der juristischen Sprache bewusst bin.
    Wie hätten wir Jakob sonst retten, ihn schützen können vor seinem potenziellen Mörder?
    Die Freiheit der Polizei in der Wahl ihrer Mittel zum Schutz des Lebens kann sich in besonders gelagerten Fällen auch auf ein bestimmtes Mittel verengen, wenn ein effektiver Lebensschutz auf andere Weise nicht zu erreichen ist (BVerfG, Urt. v. 16.10.1977, NJW 1977, 225).
    Mit dem Schusswaffengebrauch hätte der Verwahrort des entführten Kindes wohl kaum in Erfahrung gebracht werden können.

    Ist der unmittelbare Zwang zur Gefahrenabwehr verwerflich?
    Die Anwendung unmittelbaren Zwanges zur Gefahrenabwehr ist zulässig, wenn andere Zwangsmittel nicht in Betracht kommen oder keinen Erfolg versprechen oder unzweckmäßig sind (§ 52 Abs. 1 HSOG). Die Zwangsmittel sind nach Möglichkeit vorher anzudrohen (§ 53 Abs. 1 S. 1 HSOG).
    Die Einwirkung auf die Willensbildung und Willensbetätigung mittels Zwangsandrohung an sich ist nicht verwerflich. In allen Rechtsordnungen der Welt ordnet die Polizei als Teil der öffentlichen Gewalt jeden Tag unzählige Male von der Rechtsordnung gebotene Maßnahmen an, die ausschließlich den Zweck verfolgen, Gefahren für die Sicherheit des Einzelnen oder der Allgemeinheit abzuwehren. Die Eingriffsqualität ist unterschiedlich, beispielsweise ein Platzverweis, die Aufforderung zur Herausgabe von Gegenständen oder zum Ablegen von Waffen, die Durchsetzung einer Blutentnahme oder einer Verhaftung. Wenn sich ein betrunkener Autofahrer gegen die angeordnete Blutentnahme wehrt, wird gegen ihn unmittelbarer Zwang eingesetzt – das heißt, es werden ihm Schmerzen zugefügt, um seinen Widerstand zu brechen. Das Gleiche gilt für gewalttätige Randalierer – im familiären Bereich ebenso wie in der Öffentlichkeit oder in der Zelle einer Justizvollzugsanstalt. Wenn ein (terroristischer) Häftling in den Hungerstreik tritt, wird er zwangsweise ernährt – in Anwesenheit eines Arztes und mit lückenloser Dokumentation in Bild und Ton. Und wenn ein Tatverdächtiger die Gegenüberstellung mit Zeugen durch auffälliges Verhalten zu unterlaufen versucht, dürfen ihm auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Schmerzen dadurch zugefügt werden, dass die Schließkette an seinem Handgelenk zugezogen wird, »notfalls bis auf die Knochen« – so zwei Entscheidungen des Kammergerichts Berlin. Und zur Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für Leib oder Leben dürfen Schusswaffen gegen Personen eingesetzt werden – wenn es sich um das einzige Abwehrmittel handelt, sogar gegen Personen, die dem äußeren Anschein nach noch nicht 14 Jahre alt sind (§§ 60, 61 HSOG).
    Werden diese rechtlich zugelassenen und auch gebotenen Anordnungen nicht befolgt, dürfen sie mit angemessenen Mitteln erzwungen werden. Da Zwangsgeld in diesen Fällen regelmäßig ausscheidet, bleibt nur die Anwendung unmittelbaren Zwanges, das heißt die Einwirkung mit körperlicher Gewalt oder mit zugelassenen Hilfsmitteln (Dr. Kurt Gintzel, Zur Abgrenzung von Verwaltungszwang und Aussageerpressung , 03.03.2003). Sie darf nicht unverhältnismäßig sein, es ist zunächst das mildeste Mittel anzuwenden.
    Die Aufforderung (das Gebot) an Gäfgen, das Versteck des entführten Kindes

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