Um Mitternacht mit dir im Bett
Haarnadel aus ihrem Zopf aufzusperren. Sie schaltete das Licht ein, denn sie hatte nicht die Zeit, im Dunklen umherzutasten, obgleich sie sich im Zimmer gut auskannte.
Da Michael ihr gesagt hatte, wo sich der Safe befand, ging sie direkt auf das zur Tarnung dienende Ölgemälde zu und nahm es von der Wand. Dann wickelte sie sich ein Taschentuch um die Fingerspitzen, strich über die Stahltür und brachte das Ohr nah an das Schloss. Sie hatte das Gefühl, die Vibrationen des Schlosses mit dem ganzen Körper spüren zu könne, nicht nur in den Fingern.
Fünf weitere Minuten verstrichen, in denen sie langsam die Drehscheibe bewegte. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn, als sie die erste Zahl fand.
Fünfzehn.
Drei Minuten später klickte die Scheibe erneut leicht.
Zwei.
Jetzt nur noch eine Zahl …
Bei jedem Geräusch im Haus zuckte sie zusammen. Einmal meinte sie, Schritte auf dem Flur zu hören, aber dann erkannte sie, dass es ihr eigener Herzschlag war.
Fast in letzter Minute fand sie die dritte Zahl.
Zweiunddreißig.
Der Safe ging auf, und rasch durchsuchte sie den Inhalt, bis sie einen dicken Umschlag fand.
“Mein letzter Wille – Seamus Q. Wolff”
Mit einem erleichterten Seufzer nahm sie den Umschlag an sich. Plötzlich spürte sie einen harten Schlag gegen die Schulter. Sie fuhr herum und sah, dass nur die Tresortür zurückgeschwungen war.
Die Kombination ging ihr nicht aus dem Sinn. Fünfzehn – zwei – zweiunddreißig. Es kam ihr merkwürdig vertraut vor. Fünfzehn – zwei – zweiunddreißig.
15. Februar 1932.
Das Geburtsdatum ihrer Großmutter. Zufall? Sarah konnte es nicht glauben, aber jetzt hatte sie keine Zeit, darüber nachzudenken.
Da Michael wollte, dass der Einbruch sofort bemerkt wurde, musste sie die Tür offen stehen lassen. Doch leider schwang sie immer wieder von allein zu. Also suchte Sarah in dem Tresor nach etwas, was sie in die Angel klemmen konnte. Schließlich fand sie ein Kuvert und warf einen flüchtigen Blick darauf. Doch was sie da las, ließ sie noch einmal hinschauen.
Der Brief war an Seamus Wolff adressiert, abgestempelt im Jahr 1952.
Und der Absender war ihre Großmutter.
Michael lief in dem Nebenraum auf und ab wie ein Tiger im Käfig. Sarah war seit dreizehn Minuten weg. Ob einer der Angestellten sie erwischt hatte? Oder war der Safe zu schwer zu knacken? Hatte sie zusammen mit dem Testament Bargeld entwendet und war geflohen?
Nein, Sarah war keine Diebin. Das hieß, bis jetzt.
Durch seine Schuld.
Michael schaute erneut auf die Uhr und fand, dass er lange genug gewartet habe. Sofort würde er nach ihr sehen.
“Michael?” Seamus’ laute Stimme hallte in der Galerie wider.
Michael atmete tief durch und trat aus dem Nebenraum. “Ja?”
Seamus wendete geschickt seinen Rollstuhl und blickte Michael streng an. “Dies ist zwar dein Geburtstag, aber jetzt hast du deine Gäste lange genug vernachlässigt.”
Eine Predigt über seine Gastgeberpflichten war das Letzte, was er in diesem Moment brauchte. Er machte sich solche Sorgen um Sarah, dass er kaum wusste, wo ihm der Kopf stand.
Und dann trat sie plötzlich aus dem Nebenraum. Ein dicker Stein fiel ihm vom Herzen. “Ich bekomme gerade Saures, weil ich meine Gäste zu lange allein lasse”, empfing er sie nervös lachend.
“Es ist meine Schuld”, wandte sie sich an Seamus. Ihr Gesicht war hochrot, die Stimme ein bisschen atemlos. “Ich hatte Michael um eine Privatführung gebeten.”
Seamus blickte von einem zum anderen. Dann zwinkerte er seinem Enkel zu. “Na schön, es ist ja dein Geburtstag. Amüsiert euch ruhig weiter, ich kümmere mich dann um die Gäste.” Vor sich hin grummelnd, rollte er davon.
Sobald sie allein waren, strich Michael ihr eine Haarlocke aus dem erhitzten Gesicht. “Hat alles geklappt?”
Sie nickte.
“Gar keine Probleme?”
“Nein. Ich habe die Safetür offen gelassen, wie du es gewünscht hast. Das Testament ist …”
“Pst, nicht jetzt”, unterbrach er sie, als aus der hinteren Galerie ausgelassenes Gelächter ertönte. “Maureen hat die Grenze ihres Cocktailkonsums erreicht, die Gäste brechen sicherlich bald auf. Das Testament kannst du mir später geben.”
“Wann?”, fragte sie. Das Feuer der Brillanten an ihrem schlanken Hals spiegelte sich in ihren grünen Augen wider. Aber er bemerkte auch Ungeduld in ihrem Blick. War sie so begierig darauf, von ihm wegzukommen, wo sie nun ihr Versprechen erfüllt hatte?
Michael beugte sich zu ihrem Ohr
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