Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
stimuliert uns, das andere stößt uns ab.
Das Aussehen eines Menschen wirkt selbstverständlich ebenfalls ganz individuell. Gleichgültig ob einer schlank ist oder füllig, mager oder muskulös, dem Gegenüber gefällt es oder es gefällt ihm nicht.
Entfremdung
Die Zeit, sagt man, verändert alles, und darin liegt auch eine Gefahr für jede Partnerschaft. Vielleicht verändert sich einer der Partner im Laufe der Zeit physisch, und die Frage ist, wie leicht oder schwer sich der andere an den veränderten Körper des Partners gewöhnen kann. Bleibt sein ästhetisches Gefühl ungestört? Kann ihn der Austausch von Zärtlichkeiten mit dem Partner immer noch beglücken oder beginnt hier eine erste Phase von Distanzierung, weil irgendetwas am anderen uns nicht mehr gefällt? Die Frage wird sein, ob es anderes gibt, das stärker ist als die physische Anziehungskraft und das uns an den Partner bindet oder ob sich die unerwünschten Veränderungen in einer Weise vermehren, die uns mehr und mehr von ihm weg treiben. Im äußersten Fall kann sogar ein neues Parfüm, dessen Duft uns stört, den Ausschlag geben, und das eigene kleine Ich glaubt, diese Entscheidung treffen zu dürfen, weil sein Geruchssinn »ihm gehört«, das heißt, Teil seines intimen Raums ist und er darüber vergisst, dass er damit eine Brücke zerstört. Auf der anderen Seite verbindet die lange Zeit des Zusammenlebens ein Paar. Beide haben mehr und mehr gelernt, das Vertraute und die Vertrautheit zu lieben, da Veränderungen sich nur sehr langsam vollziehen. Beide haben sich daran gewöhnt, sich auf den anderen zu verlassen, ihm in seinem Geschmack und seinen Entscheidungen zu vertrauen. Es ist dieses Vertrauen, das uns die innere Ruhe und die Zufriedenheit im Alltag schenkt.
Eine Entscheidung, die der Partner unter dem Motto trifft: »Der andere hat mir gar nichts zu sagen. Ich kann immer noch selbst entscheiden«, empfinden wir oft als einen Eingriff in unseren Freiraum. Weil es hier um ganz und gar subjektive Empfindlichkeiten geht, fällt es schwer, zu erkennen, ob es sich im Einzelfall tatsächlich um einen Eingriff in den eigenen Freiraum handelt oder ob es lediglich der selbstverständlichen Adaption an den Partner bedarf. Es kann die Kleidung, das Aussehen betreffen - Vorlieben, in die man sich nicht gern hineinreden lässt.
Möglicherweise entdecken beide Partner beim anderen aber auch jeweils völlig andere Interessen. Können die beiden diese unterschiedlichen Interessen auf die Dauer nicht miteinander teilen, entsteht eine kaum zu überbrückende Distanz. Kann ich meinen Partner nicht jedenfalls emotional an den Dingen beteiligen, die mich interessieren, wie spannend ich sie ihm auch erzähle, dann bleibe ich mit meinen Erlebnissen allein. Noch gefährlicher wird es, wenn daraufhin einer von beiden versucht, sich seine Erlebnisse außerhalb der Partnerschaft zu schaffen und am Ende ein neues »Wir« für sich entdeckt.
Wie weit sich eine Brücke vom alten »Wir« der Partner zum neuen des einen Partners schlagen ließe, zu dem ein einzelnes Ich, aber auch eine ganze Gruppe gehören könnte, hängt von der Toleranz, entscheidend jedoch von der Neugier des ersten Partners an menschlichen Beziehungen ab. Auch seine Bereitschaft, sich neuen Formen der Begegnung zu öffnen, spielt eine entscheidende Rolle. Das neue größere »Wir« müsste verschiedene kleinere Einheiten unterschiedlicher Zielsetzung integrieren können, sozusagen eine große Wohnung mit vielen Zimmern bilden. Es wäre zumindest ein Tanz auf dem Drahtseil. Ich meine aber: Ein entwickeltes Verständnis dafür, dass jeder Mensch sich einen Raum oder Freiraum bewahren will und muss, ist nötiger denn je in einer Welt, die dazu neigt, das Erlebnis des Einzelnen in Massenevents zu verlegen. Der eigene Freiraum muss nicht zur Absage an die Welt werden. Eines allerdings sollten wir uns bewusst machen: Indem ich mich auf mich selbst besinnen will und meinen Freiraum nutze, distanziere ich mich in der Tat vom Partner und von allen anderen, wenn auch nur für eine begrenzte Zeit.
Auch eine weltanschauliche Neuorientierung kann eine Entfremdung vom Partner bedeuten, und Entfremdung heißt zugleich immer Distanzierung. Zwar sollte genügend Freiraum für die Entwicklung getrennter Interessen der Partner zur Verfügung stehen, aber die Bemühung um immer neue gemeinsame Interessensphären darf nie aufhören. Die kleinen Freiräume für, wenn man so will, egoistische Bedürfnisse müssen
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