Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel

Titel: Umgang mit Groessen - Meine Lieblingsdichter - und andere - Herausgegeben und mit einem Nachwort von Karl Heinz Bittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Kempowski
Vom Netzwerk:
Sohn eines kleinen Beamten mit vielen Geschwistern in London, Camden Town, aufgewachsen. Der später weltberühmte und wohlhabende Schriftsteller hat ganz unten angefangen. Als die verarmten Eltern ins Schuldgefängnis gerieten – der Vater verspielte mehr, als er einnahm, und die Mutter war mit einem Pensionat (»Mrs. Dickens’ Etablissement«) gescheitert –, mußte der Zwölfjährige in einer Schuhwichsfabrik arbeiten. Mit fünfzehn wurde er Bürohelfer bei einem Advokaten, vier Jahre später Parlamentsreporter einer Zeitung, dann Redaktionsmitglied des »Morning Chronicle«.
    Auf seine Zeitgenossen muß er eine geradezu unglaubliche Wirkung ausgeübt haben. Er war der Vater aller Lesereisenden. Sein Vortragstalent bescherte ihm nicht selten Hunderte von Zuhörern. Im Frühjahr 1858 hatte er allein
in London sechzehn Lesungen. Auf seiner zweiten Amerikareise standen in einer Winternacht fünftausend Menschen um Vorverkaufskarten an.
    Seine Ehe hingegen war nicht sonderlich glücklich. Nach der spät erfolgten Trennung kümmerte sich seine Schwägerin um die zehn Kinder und den Haushalt. Dickens erlag im Alter von achtundfünfzig Jahren einem Schlaganfall, in einem Brief hatte er kurz zuvor aus »Romeo und Julia« zitiert: »So wilde Freude nimmt ein wildes Ende.« In Westminster Abbey liegt er begraben.
    Neben all seinen Romanen sind mir die »Notizen aus Amerika« besonders wichtig, das faszinierende Tagebuch einer sechsmonatigen Reise. Hier ist seine Sprache auf dem Höhepunkt. Dickens hat einen journalistischen Ton getroffen, der mir sehr gefällt. Zum Beispiel gibt es bewegende Schilderungen amerikanischer Zustände: Er besucht ein Gefängnis in Philadelphia und unterhält sich dort mit Häftlingen, die seit zehn Jahren und mehr in Einzelhaft sitzen.
    Eine durch seine Herkunft bestimmte Energie, sich mit gesellschaftlichen Mißständen zu befassen, prägte ihn. In einer Zeit, da das Elend der unteren Klassen als Folge der industriellen Revolution auf den Straßen von London unübersehbar geworden war – Friedrich Engels veröffentlichte 1845 »Die Lage der arbeitenden Klasse in England«, drei Jahre später erschien das »Kommunistisches Manifest« – , zeichnete Dickens ein Bild seiner Gegenwart in
sozialen Romanen, eine Gattung, die sich in Deutschland, wo geistvolle Auseinandersetzung mit Bildung und Kultur dominierten, eigentlich nie durchgesetzt hat.

Alfred Döblin
    Der in Stettin geborene Alfred Döblin wuchs unter kümmerlichen Verhältnissen auf. Die Mutter mußte ihre fünf Kinder allein durchbringen, weil der Vater mit einer Jüngeren nach New York »durchgebrannt« war und Schulden hinterlassen hatte. Enge Berliner Hinterhauswohnung, verworrene Schulverhältnisse mit Freitischen und anderen Demütigungen. »Das ist das Leben. Rette sich, wer kann«, war später Döblins Kommentar.
    Er gehört wie Carossa oder Benn zu der Riege der Ärzte unter den Schriftstellern. Der Brotberuf war dem Schreiben wohl förderlich, die Neigung zur genauen Beobachtung, zur Diagnose, auch zum Sezieren. Als Armenarzt hat er im Berliner Arbeiterviertel Wedding praktiziert, mitten im Milieu.
    Dann das Exil in der Sprachfremde, zunächst Frankreich, später USA. Die Isolation, auch wenn ihn der Freund Robert Minder, der große französische Germanist, mit Sartre, Simone de Beauvoir und anderen Größen des Pariser Geisteslebens in Verbindung brachte. In Hollywood
durfte Döblin an Drehbüchern für MGM mitschreiben.
    Döblin, der Herr mit der randlosen Brille: Das haben sie ihm angekreidet, daß er nach dem Krieg in französischer Uniform ins Vaterland zurückkehrte. Dichter in Uniform: Grillparzer, Liliencron, Klaus Mann und auch Jünger, das ist so eine Sache. Die Gesellschaft nahm Döblin nicht wieder auf, obwohl er im Ersten Weltkrieg das getan hatte, was man die »Pflicht« nannte, und zwar in deutscher Uniform.
    Seine späten Romane wirken auf mich wenig herausfordernd. Ich getraue mich auch zu sagen, daß es mir beim »Alexanderplatz« ähnlich wie anderen bei der »Blechtrommel« ging: mehrmals angefangen, aber nie weiter als bis zur dreißigsten, na, sagen wir, bis zur fünfzigsten Seite gelesen. Den endgültigen Rest gab mir dann leider die Fernsehserie mit dem berlinernden Nichtberliner, wie hieß er noch? 10
    In den roaring twenties , zwischen 1927 und 1929, ist jener Roman entstanden, der Döblin Weltruhm eintrug, die Geschichte des ehemaligen Transportarbeiters Franz Biberkopf, der seine Braut in einem

Weitere Kostenlose Bücher